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Originallink: http://www.pinselpark.org/philosophie/e/erasmus/torheit/torheit_01.html


 

Erasmus von Rotterdam

Lob der Torheit (2)

Täuscht euch nicht, der altersschwache und blinde Plutos des Aristophanes war nicht mein Erzeuger, sondern es war der einst frische und noch jugendwarme Plutos, der nicht nur von Jugend, sondern ebenso vom Nektar glühte, den er damals gerade reichlich und ungemischt beim Göttermahl getrunken hatte. Ihr werdet gewiß nach meinem Geburtsort fragen, da die gesellschaftliche Geltung heute davon abhängen soll, wo man das erste Geschrei ausgestoßen hat. Ich bin weder auf dem haltlosen Delos noch auf dem wogenden Meere, noch in der glatten Höhle der Kalypso geboren, sondern auf den Inseln der Glückseligen selbst, wo alles ungesät und ungepflügt hervorsprießt. Dort gibt es keine Anstrengung, kein Alter und keine Krankheit, nirgendwo auf den Feldern findet man dort Asphodillwurz, Malve, Meerzwiebeln, Wolfsbohnen, Pferdebohnen oder andere „Köstlichkeiten" dieser Art. Weit und breit haben Auge und Nase ihr Ergötzen an Molykraut, Allheilkraut, Zauberkraut, Majoran, Ambrosia, Lotosblumen, Rosen, Veilchen, Hyazinthen und den Gärtlein des Adonis. Inmitten solcher Köstlichkeiten habe ich das Licht der Welt erblickt und der Mutter zugelächelt, statt zu weinen. Ich neide dem erhabenen Jupiter nicht seine Nährmutter Ziege; denn zwei neckische Nymphen nährten mich an ihren Brüsten, die Bacchustochter Methe und Apaedia, die Tochter des Pan.
Ihr seht sie beide hier unter der Herde meiner Trabanten. Wenn ihr die Namen wissen wollt, müßt ihr euch schon an das Griechische halten. Die ihr hier mit finsteren Augenbrauen seht, heißt Eigenliebe. Dort steht die Schmeichelei sozusagen mit verzückten Augen und mit den Händen Beifall klatschend. Vergessen nennt man, die hier fast im Stehen schläft. Trägheit stützt sich mit verschränkten Händen auf beide Ellenbogen. Mit Rosen bekränzt und duftend vor Salben, seht ihr das Vergnügen, und jene mit dem unsteten Blick ist der Wahnsinn. Ergötzen nennt man die andere mit der glänzenden Haut und dem geschmackvollen Mantel. Ihr seht gleichfalls zwei Götterknaben unter den Mädchen, von denen einer Ausgelassenheit und der andere Siebenschläfer heißt. Mit Hilfe dieses meines Anhangs halte ich alle Welt in meinem Bann und bin sogar Herr über die Herrscher. Herkunft, Werdegang und meine Gesellschaft kennt ihr nun.
Damit ihr nun aber nicht glaubt, ich würde mir den Rang einer Gottheit zu Unrecht anmaßen, spitzt die Ohren und vernehmt, was für Annehmlichkeiten ich Göttern und Menschen bereite. Irgendwer hat einleuchtend nachgewiesen, daß hilfreiches Verhalten gegenüber den Menschen die Gottheit ausmacht. Wenn man also verdientermaßen alle zum Rat der Götter zählt, die der Menschheit Wein, Getreide oder ähnliche Annehmlichkeiten gaben, warum werde ich dann nicht von Rechts wegen als „Alpha" des Götterhimmels angesehen, wo ich allein die Fülle des Alls schenke? Was gibt es denn Angenehmeres und Kostbareres als das Leben selbst? Wer anders als ich gibt aber den Auftakt für dieses Leben? Weder die Lanze der hochgeborenen Pallas Athene noch die Aegis des Wolkenbewegers Zeus hat das Menschengeschlecht erzeugt oder vermehrt. Der Göttervater und König des Menschengeschlechts selbst, der den ganzen Olymp mit einem Wink erschüttert, muß doch den dreigezackten Blitz und den Titanenblick, mit dem er nach Belieben alle Götter in Furcht erhält, ablegen und wie ein Schauspieler eine fremde Maske aufsetzen, wenn er seiner Gewohnheit gemäß ein Kind in die Welt setzen will. Die Stoiker dünken sich den Göttern am nächsten, aber gib mir nur einmal drei oder vier, meinethalben auch das Sechshundertfache an Stoikern! Wenn sie schon den Bart, das Abzeichen ihrer Gelahrtheit, das sie übrigens mit den Geißböcken gemein haben, nicht beseitigen, müssen sie aber doch sicher auf die finsteren Augenbrauen verzichten, die Stirn glätten und ihre Lieblingsdogmen über Bord werfen, ja, sie müssen eine gute Weile läppischen Unfug machen. Zuletzt muß der weise Mann mich, mich, sage ich, bemühen, wenn er Vater werden will. Warum sollte ich meiner Art gemäß nicht offener mit euch reden? Erzeugen etwa Kopf, Gesicht, Brust, Hände oder Ohr, die man ja gemeiniglich als edle Teile ansieht, Götter und Menschen? Nein, jener Körperteil, der in seiner Albernheit und Lächerlichkeit eine ernsthafte Erwähnung gar nicht zuläßt, ist Erzeuger und Mehrer des Menschengeschlechts. Er ist mit mehr Anspruch als der vierfache pythagoreische jener heilige Quell, aus dem das All sein Leben schöpft.
Welcher Mann würde den Kopf unter das Joch des Ehestands beugen, wenn er nach der Gewohnheit jener Weisheitsapostel zuvor bei sich die Nachteile jenes Lebens erwogen hätte? Oder welche Frau würde sich einem Manne hingeben, wenn sie die Mühen und Gefahren der Geburt und die Last der Erziehung kennen würde oder überlegt hätte? Wenn ihr also der ehelichen Vereinigung das Leben dankt, die Ehe aber der Unbesonnenheit und ihrem Gefolge, seht ihr doch ein, was ihr mir dankt. Welche Frau würde dies alles, nachdem sie es einmal erfahren hat, wiederholen wollen, wenn die Göttin Vergessenheit nicht einspränge? Selbst Venus würde — mag Lukrez abstreiten, soviel er will — damit einverstanden sein müssen, daß ihre Macht ohne unsern göttlichen Beistand kümmerlich und wirkungslos ist. So gehen also aus diesem Spiel unserer lächerlichen Benommenheit sogar die finstern Weisheitslehrer hervor, deren Stelle heutzutage die sogenannten Mönche einnehmen, die Purpurträger, die frommen Priester und die dreimal heiligen Päpste. Nicht anders ist es mit dem Gremium der Götter der Poesie, deren große Menge selbst der überaus geräumige Olymp kaum zu fassen vermag.
Was bedeutet es schon, Pflanzstätte und Quell des Lebens zu sein, wenn ich nicht auch zeige, daß alle Bequemlichkeit des Lebens von mir kommt? Was soll denn das? Kann man überhaupt von „Leben" sprechen, wo kein Vergnügen ist? Ihr klatscht Beifall. Ich wußte wohl, daß keiner von euch so weise oder, besser, so geistlos sein würde oder, noch besser, so geweckt wäre, daß er diese Ansicht hätte. Nicht einmal jene Stoiker verschmähen das Vergnügen. Trotzdem heucheln sie eifrig und hecheln es vor dem Volke durch. Offenbar doch nur, um die anderen weg zugraulen und selbst weidlicher zu genießen! Sie sollen, beim Zeus, einmal sagen, welcher Teil des Lebens denn nicht traurig, freudlos, unansehnlich, witzlos und beschwerlich ist, wenn man das Vergnügen, die Würze der Torheit, davon wegnimmt? Das hat ja der nie genug hervorgehobene Sophokles deutlich bestätigt, von dem wir jenen wunderschönen Lobspruch auf uns haben: „Vergnügen bringt das Leben, wenn die Weisheit fehlt."

vor  




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