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Originallink: http://www.pinselpark.org/philosophie/e/erasmus/torheit/torheit_01.html


 

Erasmus von Rotterdam

Lob der Torheit (17)

Christus unterbricht aber das endlose Eigenlob mit der Frage: Was soll mir dieses neuartige Judenvolk? Ich erkenne nur mein einziges Gebot an, von dem allein ich aber nichts höre. Einst habe ich ganz ohne gleichnishafte Umkleidung das väterliche Erbe verheißen, aber nicht für Kutten, Gebetchen und Fasten, sondern für Werke des Glaubens und der Liebe. Ich halte nichts von denen, die ihre eigenen Taten in den Himmel erheben. Wer es mir an Heiligkeit zuvortun will, mag die Himmel der Abraxasdiener für sich in Anspruch nehmen oder sich von jenen einen neuen Himmel errichten lassen, deren fragwürdige Überlieferungen er meinen Geboten vorzieht. Welche Gesichter werden sie wohl schneiden, wenn sie merken, daß Matrosen und Fuhrleute mehr Gnade finden als sie. Bis dahin macht sie ihre Hoffnung jedenfalls glücklich, und das verdanken sie meinem Wohlwollen.
Obwohl sie keine öffentlichen Ämter bekleiden, hütet sich doch jedermann vor ihnen, besonders vor den Bettelmönchen, weil sie als sogenannte Beichtväter die geheimen Fäden in der Hand haben. Sie halten es für sündhaft, darüber zu sprechen, wenn sie sich nicht gerade beim Wein mit pikanten Geschichten unterhalten wollen. Dabei deuten sie den Sachverhalt nur an und lassen die Namen aus dem Spiel. Reizt einer diese Hornissen, dann rächen sie sich gründlich in den öffentlichen Predigten und stellen ihren Gegner mit Anspielungen auf eine Art bloß, daß auch der Dümmste merkt, wer gemeint ist. Sie hören mit ihrem Gekläff nicht auf, bis man ihnen das Maul stopft. Gibt es sehenswertere Komödianten oder Gaukler als die predigenden Bettelmönche mit ihrem lächerlichen Rednerpathos, das sie auf eine possierliche Weise den Anleitungen der Rhetoriklehrer abgeguckt haben? Gott im Himmel, wie gestikulieren sie, wie modulieren sie ihre Stimme, wie schluchzen sie, wie werfen sie sich in die Brust, welche Grimassen schneiden sie und wie übertönen sie alles mit Stimmaufwand! Solche Predigtkunst vertraut ein Bruder dem ändern wie Geheimwissenschaft an.
Obwohl mir (als einem Weib) Wissenschaft nicht ansteht, will ich doch einige Andeutungen machen. Zuerst bringen sie ein Zitat aus einem Dichter. Wenn sie dann über die Liebe sprechen wollen, beginnen sie mit dem Nil, oder wenn sie über das Geheimnis des Kreuzes sprechen wollen, fangen sie glücklich mit dem babylonischen Drachen Bei an. Haben sie sich das Fasten als Gegenstand gewählt, verbreiten sie sich zuerst über die zwölf Zeichen des Zodiakus. Eine Ansprache über den Glauben leiten sie mit einer Betrachtung der Quadratur des Kreises ein.
Ich habe selbst einen Dummkopf — Verzeihung! Gelehrten, wollte ich sagen — gehört, der in einer gut besuchten Predigt über das Geheimnis der Dreifaltigkeit einen neuen Weg einschlug, um seine außergewöhnliche Gelehrsamkeit zu zeigen und vor den Ohren der Theologen Gnade zu finden. Er fing bei den Buchstaben, Silben und Worten an. Dann sprach er von der Übereinstimmung zwischen Nomen und Verbum, zwischen Adjektivum und Substantivum. Die meisten wunderten sich schon und dachten im stillen an das Horazwort „Wohin soll das wirre Zeug führen?". Schließlich wollte er beweisen, daß in den grammatischen Begriffen ein so auffallendes Gleichnis der Dreifaltigkeit enthalten sei, wie es kein Mathematiker deutlicher in den Sand zeichnen könne. Der glorreiche Theologe hatte sich acht lange Monate im Schweiße seines Angesichtes bei dieser Vorstellung so abgemüht, daß er heute noch blinder ist als ein Maulwurf, weil die geistige Anstrengung ihn das Augenlicht kostete. Das bekümmert ihn aber weiter gar nicht. Der Preis kommt ihm gering vor im Vergleich zu dem erworbenen Ruhm.
Einmal haben wir auch einen achtzigjährigen Theologen gehört, der uns wie ein neuer Scotus erschien. Er wollte das Geheimnis des Namens Jesu erklären und bewies mit erstaunlichem Scharfsinn, daß in den Buchstaben selbst alles enthalten sei, was man über ihn sagen könne. Daß man ihn nur in drei Fällen beugen könne, sei offenbar ein Gleichnis der göttlichen Dreifaltigkeit. In den drei Endungen der Fälle, nämlich in dem s, m und u, verberge sich ein unaussprechliches Geheimnis, und die Buchstaben verkündigten, daß er der Höchste (summus), die Mitte (medius) und das Ende (ultimus) sei. Ein anderes, noch verborgeneres Geheimnis wurde uns ebenfalls zuteil: Mathematisch genau teilte er den Namen Jesus in zwei gleiche Teile, allerdings so, daß der fünfte Buchstabe in der Mitte allein übrigblieb. Dann lehrte er, dieser Buchstabe heiße im Hebräischen „Sin", Sin in der Sprache der Schotten die Sünde; so ergebe sich einwandfrei, daß Jesus es sei, der die Sünden der Welt tilge. Allen blieb der Mund offen vor Bewunderung bei dieser neuartigen Einleitung, besonders den Theologen, und es fehlte nicht viel, so wäre es ihnen ergangen wie einst Niobe, während ich es beinahe gemacht hätte wie der Feigenholzpriap, als er zu seinem Schaden die nächtlichen Geheimnisse der Canidia und Sagana belauschte. Ich hätte allen Grund dazu gehabt. Wo hat nämlich der Grieche Demosthenes oder der Lateiner Cicero eine ähnliche Maskerade aufgeführt? Bei ihnen galt eine Einleitung als fehlerhaft, die zu weit vom Gegenstand abirrte. Nicht einmal Sauhirten beginnen in ihrer Art so.
Diese Gelehrten aber halten ihre Präambel — so nennen sie das nämlich — dann für hervorragend rhetorisch, wenn sie nichts mit dem Gegenstand zu tun hat, der Hörer vielmehr verwundert vor sich her murmelt: „Wohin stürzt jener sich wohl?" Im dritten Teil, also in der eigentlichen Erörterung, legen sie kurz und beiläufig ein Wort aus dem Evangelium aus, was doch allein ihre Aufgabe gewesen wäre. Im vierten Auftritt setzen sie wieder eine neue Maske auf und beschäftigen sich mit einer theologischen Untersuchung, die nach einem Worte Lukians beziehungslos zwischen Erde und Himmel hängt. Auch das halten sie für besonders kunstgerecht. Dann trichtern sie den Hörern mit vollendeter theologischer Salbung hochtrabende Titel ein wie scharfsinnige Lehrer, scharfsinnigste Lehrer, seraphische Lehrer,, cherubinische Lehrer, heilige Lehrer und unwiderlegliche Lehrer. Große und kleine Syllogismen, Schlüsse, Folgesätze, Voraussetzungen und solcherart abgeschmackte und mehr als scholastische Spielereien führen sie dem dummen Haufen vor. Es bleibt noch der fünfte Aufzug, in dem der Gipfel der Kunst erklettert werden muß. Hier kramen sie mir eine törichte und witzlose geschichtliche Begebenheit aus dem Speculum historiale, wie ich glaube, oder aus den Gesta Romanorum hervor und legen sie allegorisch, tropologisch und anagogisch aus. Auf diese Weise bringen sie ein Spukgebilde zustande, wie es Horaz nicht einmal zu Beginn seiner Ars poetica erreichte.
Von irgend wem haben sie gehört, daß der Anfang der Rede ruhig sein müsse und möglichst "wenig Stimmaufwand zeigen dürfe. Deshalb beginnen sie so leise, daß sie kaum ihre eigene Stimme hören können, als ob es besser sei, von niemand verstanden zu werden. Irgendwo haben sie aufgeschnappt, man müsse mit Geschrei leidenschaftliche Anteilnahme erwecken. Mitten in gedämpfter Rede erheben sie darum plötzlich ohne Grund die Stimme zu mörderischem Gebrüll. Man möchte schwören, der Kerl wäre verrückt, ganz als ob es völlig belanglos wäre, wo man gerade schreit. Weil sie nun noch gehört haben, die Rede müsse immer mehr Feuer entwickeln, bleibt es anfänglich bei einem gleichmäßigen Vortrag, dann steigern sie die Stimme bald erstaunlich, auch wenn der Gegenstand belanglos ist, und zeigen sich schließlich völlig erschöpft. Endlich haben sie noch gelernt, daß die Rhetoren auch das Lachen erwähnen, also suchen sie auch Witze anzubringen. Bei Aphrodite, sie sind so beschwingt und passend, daß man an den Esel und die Lyra denken möchte. Bissig sind sie zwar manchmal, doch ist das mehr Kitzel als Verwundung, und ihre Schmeichelei ist nie unverschämter, als wenn sie einen freimütigen Eindruck machen möchten.
Ihr ganzes Auftreten ist so, daß man glauben möchte, sie seien bei Gauklern in die Lehre gegangen, die ihnen allerdings weit überlegen sind. Trotzdem sind sie einander aufs Haar gleich, und jeder ist überzeugt, daß entweder diese von jenen oder jene von diesen die Redefertigkeit erlernt haben. Immerhin hat mein Einfluß das Volk so weit gebracht, daß es in den Bettelmönchen Demosthenes und Cicero selbst zu hören glaubt. Das trifft vor allem die Krämer und Weiber, deren Ohren sie mit Fleiß gefallen wollen. Jene geben ihnen gewöhnlich einen Beuteanteil an ihren üblen Einkünften, wenn sie angenehme Schmeicheleien gesagt haben, diese haben neben vielen anderen Gründen eine Vorliebe für den Orden, weil sie hier die Beschwerden über ihre Gatten an den Mann bringen. Ich glaube, ihr seht wohl, wie sehr diese Menschen in meiner Abhängigkeit stehen, die mit Zeremonien, lächerlichem Kleinkram und viel Geschrei die Menschheit tyrannisieren und sich als Paulusse und Antoniusse ansehen. Mit ihnen, Schauspielern, undankbaren Leugnern meiner Wohltaten und gottlosen Frömmigkeitsheuchlern, will ich mich nicht weiter mehr befassen.




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