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Erasmus von Rotterdam

Lob der Torheit (13)

Zunächst einmal verursacht ihnen ihr Glück die geringsten Unkosten, nämlich nur eine kleine Einbildung. Dann haben sie den Genuß dieses Glückes aber auch mit den meisten gemeinsam, da bei allen Gütern des Lebens der Besitz erst Behagen bringt, wenn andere daran teilnehmen. Jedermann weiß, wie spärlich die Zahl der Weisen ist, sofern man überhaupt einen finden kann. In so langen Jahrhunderten weisen die Griechen im ganzen sieben auf. Bei Gott, ich will verdammt sein, wenn man bei genauerem Zusehen auch nur einen halbweisen, ja nur einen drei Unzen wiegenden darunter ausfindig macht. Unter den vielen Vorzügen des Bacchus rühmt man, wie es sich gebührt, daß er die Sorgen wegspült, allerdings nur auf recht kurze Zeit; denn sobald du dein Räuschlein ausgeschlafen hast, sind die Beschwernisse des Geistes im Handumdrehen wieder zur Stelle. Da ist meine Wohltat doch voller und wirksamer, da ich den Geist in einer beständigen Trunkenheit mit seligem Freudentaumel erfülle, ohne eine Gegenleistung zu fordern.
Ich schließe keinen Menschen von meinen Gaben aus, während die Gaben der anderen Gottheiten jeweils besonderen Lieblingen vorbehalten sind. Nicht überall wächst der edle und milde Wein, der die Sorgen vertreibt und unserer Hoffnung in reicher Fülle zu Gebote steht. Wenigen hat Venus gefälliges Aussehen verliehen, noch weniger Menschen haben die Merkursgabe der Beredsamkeit. Viele sind es auch nicht gerade, die von Herkules mit Schätzen bedacht wurden. Nicht jedwedem hat der homerische Zeus Herrschgewalt verliehen, und Mars versagt seine Gunst oft beiden streitenden Parteien.
Die meisten entfernen sich mit langen Gesichtern vom Dreifuß Apolls, Saturn schleudert oft seine Blitze, und Phöbus schickt Unheil mit seinen Geschossen. Neptun hat mehr Wesen verdorben als behütet. Den Rächergott Vejovis, den Unterweltsgott Pluto, die Schicksalsgöttin Ate, die Strafgottheit Poena und die Fiebergottheit Febris und ähnliche, die alle mehr Schinder als Götter sind, will ich auch noch erwähnen. Ich bin die eine unteilbare Torheit, die alle mit gleichem Wohlgefallen bereitwillig umfängt. Ich kehre mich nicht an Gelübde, kenne keine Erbitterung und fordere keine Sühne, wenn in meinem Dienst etwas versäumt wurde. Ich setze auch nicht Himmel und Erde in Bewegung, wenn einer die übrigen Götter zu Gast lädt, mich übergeht und mir den Duft der Opfer nicht gönnt; denn gerade darauf sind die anderen Götter so versessen, daß es sich eher lohnt und sicherer ist, die Götter zu vernachlässigen als zu verehren.
So gibt es ja auch manche Menschen von so beschwerlicher Art und reizbarer Gesinnung, daß man besser ihre Bekanntschaft ganz meidet, als Beziehungen zu ihnen zu unterhalten. Nun weist man vielleicht darauf hin, daß doch niemand der Torheit opfert und keiner ihr einen Tempel errichtet hat. Wie gesagt, ich wundere mich ein wenig über diese Undankbarkeit. Doch auch dies lege ich meiner Verträglichkeit wohlwollend aus; denn ich könnte es nicht einmal begehren. Wozu soll ich Weihrauch, Opferschrot, einen Bock oder ein Schwein fordern, da die Menschen mir doch überall den Dienst erweisen, der sogar bei den Theologen in höchstem Ansehen steht? Vielleicht müßte ich nur die Diana beneiden, weil man ihr Menschenblut opfert. Ich fühle mich am andächtigsten verehrt, wenn man mir nach allgemeinem Brauch weit die Herzen auftut und mich in Charakter und Lebensweise widerspiegelt. Diese Art Heiligenverehrung ist auch bei den Christen nicht gerade häufig. Wie viele weihen der Jungfrau und Gottesgebärerin ein Wachslicht, und zwar um die Mittagszeit, wenn es keinen Zweck erfüllt? Wie wenige geben sich dagegen Mühe, es ihr im Leben an Keuschheit, Bescheidenheit und Liebe zu den geistlichen Dingen gleichzutun? Dies ist ja erst die wahre Verehrung und bei den Himmlischen am meisten begehrt. Warum sollte ich mir also einen Tempel wünschen, wo die ganze Erde mir doch der eindrucksvollste Tempel ist?
Es fehlt mir nicht an Mysten, solange es nicht an Menschen fehlt. Ich werde auch nicht so verdreht sein und nach steinernen und gemalten Bildern trachten, die unserer Verehrung oft genug im Wege stehen, da die Zeichen von jenen Stumpfsinnigen und Einfältigen selbst als Gottheiten angebetet werden. Uns kommt es sogar zugute, daß jene gewöhnlich von ihren Platzhaltern entthront werden. Mir sind ebenso viele Standbilder errichtet, wie es Menschen gibt, die mein lebendes Abbild sogar gegen ihren Willen umhertragen. Ich habe also keinen Anlaß zum Neid auf die übrigen Götter, wenn man etwa den einen oder ändern in irgendeinem Winkel der Erde zu einer bestimmten Zeit feiert, wie es in Rhodos mit Phöbus, auf Zypern mit Venus, in Argos mit Juno, in Athen mit Minerva, auf dem Olymp mit Zeus, zu Tarent mit Neptun und in Lampsakos mit Priap geschieht. Nur muß mir eben alle Welt einhellig und ohn' Unterlaß viel geziemendere Opfer bringen.
Wenn meine Behauptungen jemand zu kühn und wahrheitswidrig erscheinen, wollen wir uns das menschliche Leben ein wenig näher ansehen, damit es sichtbar wird, wieviel man mir verdankt und wie sehr mich hoch und niedrig schätzt. Dabei wollen wir nicht das Leben eines jeden einzelnen betrachten, was zu weit führen würde, sondern nur einige auffallende Typen, von denen man leicht auf die anderen schließen kann. Wozu soll man auch über Hinz und Kunz sprechen, die doch unstreitig alle meines Zeichens sind? Da quillt es überall so von vielerlei Torheiten und werden Tag für Tag so viel neue ersonnen, daß tausend Demokrite für das erforderliche Gelächter nicht ausreichen würden.
Zudem müßte es wieder einen anderen Demokrit für ebendiese Demokrite geben. Unglaubliches bieten diese Menschlein täglich den Göttern an Lachreiz, Unterhaltung und Ergötzen. Die nüchternen Vormittagsstunden bringen die Götter nämlich mit streitbaren Ratssitzungen und mit Anhören der Gelöbnisse zu; wenn sie aber reichlich Nektar getrunken haben und zu nichts Ernsthaftem mehr aufgelegt sind, rücken sie an das Himmelsfenster und schauen neugierig dem menschlichen Treiben zu. Sie kennen kein köstlicheres Schauspiel. Gott im. Himmel, was für ein Theater ist das, welch buntes Narrengewoge! Manchmal halte ich mich ja auch selbst in den Rängen der dichterischen Gottheiten auf. Da ist einer in ein Weibchen verliebt und liebt um so hemmungsloser, je weniger er geliebt wird. Dort hat einer die Mitgift, aber nicht die Frau geheiratet, während ein anderer seine Braut als Dirne feilhält. Ein Eifersüchtiger wieder wacht mit Argusaugen über seinem Schatz. Welch törichtes Zeug redet und verrichtet ein anderer beim Tode des Vaters? Er benimmt sich, als ob er Schauspieler gedungen hätte, die das Schaustück „Trauer" vorführen. Wieder ein anderer heult beim Grabe seiner Stiefmutter. Dort stopft einer in seinen Bauch, was er nur immer zusammenscharren kann, und hungert bald hinterher wacker. Hier schätzt einer Schlaf und Müßiggang über alles. Es gibt Menschen, die sich mit viel Betriebsamkeit um die Angelegenheiten anderer kümmern und ihre eigenen vernachlässigen. Als reicher Mann kommt sich einer vor, wenn er vor lauter Anleihen und Schulden nahezu abgewirtschaftet hat. Ein Erblasser schätzt sich überaus glücklich, wenn er den Erben reich macht, nachdem er selbst karg wie eine Kirchenmaus gelebt hat. Hinter einem kläglichen und überdies unsicheren Gewinn fliegt da einer über alle Meere, Wogen und Winden ein Leben aussetzend, das für kein Geld wiederzubeschaffen ist. Dort will einer lieber im Kriege nach Reichtum jagen als daheim sichere Muße gewinnen. Manche meinen, am bequemsten zu Vermögen zu kommen, wenn sie kinderlosen Greisen schöntun. Es fehlt auch nicht an anderen, die lieber bei reichen Vetteln ihr Glück mit verliebter Heuchelei versuchen. Den göttlichen Zuschauern bereiten sie alle um so mehr erlesenen Genuß, als sie von ihren Opfern listig genasführt werden.
Den törichtesten und schmutzigsten Haufen von allen stellen die Kaufleute dar, weil sie ja das widerwärtigste aller Geschäfte, und das noch auf die widerwärtigste Art betreiben. Während sie frisch draufloslügen, Meineide schwören, stehlen, betrügen und blauen Dunst vormachen, gebärden sie sich im Bewußtsein ihres Reichtums wie Biedermänner ersten Ranges. Die Schmeichlergilde fehlt auch nicht, die sie in aller Öffentlichkeit bewundert und verehrt, damit nur ja von deren Einkünften auch ein bißchen für sie abfällt. Dann sieht man wieder jene merkwürdigen Pythagoreer, die von ihrer Theorie des Gemeinbesitzes so fest überzeugt sind, daß sie unbedenklich als rechtmäßige Erbschaft betrachten, was sie in einem unbewachten Augenblick an sich genommen haben. Andere finden ihr glückliches Genügen an behaglichen Reichtumsträumen, während manche wieder zu Hause absichtlich ein Hungerleben führen, um der Welt den reichen Mann zu spielen. Der eine verschwendet mit vollen Händen, während der andere rücksichtslos aufhäuft. Dieser bewirbt sich um alle möglichen öffentlichen Ämter, jener hat seine Freude am heimischen Herd. Wie viele führen endlose Prozesse und streiten, wo es nur etwas zu streiten gibt, um Richter und Advokaten zu bereichern, die nur in die Länge ziehen und auf Kosten ihrer Klienten leben. Während hier einer das Herkömmliche umgestalten will, müht sich dort jemand mit einer umwälzenden Erfindung ab. Da wallfahrtet jemand nach Jerusalem, Rom oder zum heiligen Jakob, wo er nichts zu suchen hat, und läßt dafür Weib und Kind im Stich.
Wollte man wie einst Menippos die Wühlerei der Menschen vom Monde aus betrachten, müßte alles schließlich aussehen wie ein Schwärm Mücken oder Flöhe, wie sie da zanken, Krieg führen, einander nachstellen, rauben, spielen, ausgelassen sind, geboren werden, fallen und sterben. Man kann es kaum glauben, welche Unruhen und Verwicklungen solch ein kümmerliches, so bald dem Tode verfallenes Geschöpf entfacht; denn oft genug rafft der Sturm eines unbedeutenden Krieges oder einer Seuche viele Tausend auf einmal dahin. Ich wäre aber selbst törichter als alle und hätte das dröhnende Gelächter des Demokrit vor allen verdient, wenn ich weiter die Erscheinungen eingebürgerter Torheiten und Wahnvorstellungen aufzählen wollte.





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