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Erasmus von Rotterdam
Lob der Torheit (15)
Unter den Gebildeten nehmen die Juristen den ersten Rang für sich
in Anspruch, und an Selbstgefälligkeit tut es ihnen keiner gleich.
Unaufhörlich wälzen sie den Stein des Sisyphus, finden sechshundert
Gesetze in einem Atemzug, ohne Rücksicht auf ihre Anwendbarkeit,
häufen Glossen auf Glossen und Auffassungen auf Auffassungen und
erreichen es, daß ihr Fach allen an Schwierigkeit überlegen
scheint. Alles Mühevolle halten sie ohne weiteres für vortrefflich.
Zu ihnen gehören die Dialektiker und Sophisten, die es an Geschwätzigkeit
mit dem Orakel-Erz von Dodona aufnehmen. Jeder einzelne von ihnen könnte
zwanzig ausgesuchten Klatschweibern die Waage halten. Sie wären,
zweifellos noch glücklicher, wenn sie redselig und nicht streitsüchtig
wären. Mit hartnäckiger Verbissenheit können sie nämlich
um des Kaisers Bart streiten und verlieren in der Hitze des Gefechts meist
die Wahrheit aus den Augen. Ihre Eigenliebe macht sie trotzdem glücklich,
wenn sie wohlausgerüstet mit ihren drei Syllogismen ohne Bedenken
über alles und mit jedem die Klingen kreuzen. Ihr Eigensinn macht
sie unbesiegbar, ob man auch einen stimmgewaltigen Stentor wider sie aufböte.
Ihnen nahe stehen die Philosophen, ehrwürdig durch Bart und Gewand.
Sie wollen allein weise sein und meinen, alle übrigen Menschen würden
ein Schattendasein führen. In welch süßem Wahn sind sie,
wenn sie zahllose Welten gestalten, die Bahnen von Sonne, Mond und Sternen
auf Daumenbreite und Fadenstärke messen, Blitz, Wind, Finsternisse
und andere matische Figuren kunterbunt ineinander, versehen sie recht
Strategisch mit Buchstaben, wiederholen sie in unterschiedlicher Reihenfolge
und umnebeln den unerfahrenen Geist. Es fehlt darunter auch nicht an solchen,
die die Zukunft aus den Sternen lesen und mehr als magische Wunder verheißen.
Ja, es finden sich sogar verständige Leute, die daran glauben.
Die Theologen sollte man füglich mit Schweigen übergehen und
diesem Kräutchen Rührmichnichtan aus dem Wege bleiben. Dieses
hochmütige und reizbare Geschlecht möchte mir leicht geschlossen
mit sechshundert Schlußfolgerungen auf den Leib rücken und
den Widerruf erzwingen, dessen Verweigerung mich in den Geruch der Ketzerei
brächte. Sie dräuen nämlich unversehens mit dem Bannstrahl,
wenn sie einem nicht grün sind. Obwohl sonst keiner seine Verbindlichkeit
gegen mich widerwilliger zugibt, stehen auch sie nicht wenig in meiner
Schuld. Sie sonnen sich in ihrer Eigenliebe wie im dritten Himmel und
blicken aus ihrer erhabenen Höhe voll Verachtung und Mitleid auf
alle anderen Sterblichen wie auf schleichendes Gewürm herab. Sie
verschanzen sich mächtig hinter ihren lehrhaften Definitionen, Schlüssen,
Folgesätzen, einfachen und verwickelten Vordersätzen und sind
so wenig um Ausflüchte verlegen, daß die Fesseln des Vulkan
nicht einmal ihre Begriffsbestimmungen zu binden vermöchten. Mit
ihnen zerschneiden sie alle Knoten, wie man es mit dem berühmten
Beil von Tenedos nicht besser könnte. Sie sind reich an neuen Wortprägungen
und Ungeheuerlichkeiten des Ausdrucks, vor allem wenn sie die tiefen Geheimnisse
nach ihrem Gutdünken auslegen, wie zum Beispiel das Weltall gestaltet
und eingerichtet ist, durch wen jener Schandfleck der Erbsünde auf
die Nachwelt gekommen ist, von welchem Augenblick ab im Leibe der Jungfrau
Christus wirklich vorhanden ist, wie in der Eucharistie die Akzidenzien
ohne Heimstatt bleiben. Doch das ist ziemlich breitgetreten.
Etwas anderes scheint ihnen eines großen und ihrer Meinung nach
erleuchteten Theologen würdig. Sie werden wach, sobald die Rede auf
solche Dinge kommt: ob es einen Augenblick gibt in der göttlichen
Zeugung, ob in Christus mehrere Abstammungen sind, ob der Vordersatz „Der
Vater haßt den Sohn" möglich ist, ob Gott die Gestalt
eines Weibes, eines Teufels, eines Esels, eines Kürbisses oder eines
Kieselsteins hätte annehmen können, dann wiederum, wie etwa
der Kürbis gepredigt hätte, wie er Wunder gewirkt hätte
und ans Kreuz zu schlagen gewesen wäre, was Petrus konsekriert hätte,
wenn er zur selben Zeit konsekriert hätte, als der Leib Christi am
Kreuze hing, ob Christus zur selben Zeit hätte Mensch genannt werden
dürfen und ob nach der Auferstehung Essen und Trinken erlaubt sein
werden, da wir uns jetzt doch vor Hunger und Durst hüteten. Zahllos
sind die Spitzfindigkeiten, die noch nichtiger sind als diese, die Begriffe,
Beziehungen, Entwicklungs-, Gestalt-, Wesens- und Erscheinungsfragen,
die einer wirklich nur wahrnehmen könnte, wenn er ein Lynkeus wäre,
der auch im tiefsten Dunkel sähe, was nirgendwo ist. Dazu gehören
noch jene Sentenzen, die so widerspruchsvoll sind, daß die sogenannten
paradoxen Sprüche der Stoiker im Vergleich dazu höchst einfältig
und volkstümlich erscheinen. Da heißt es zum Beispiel, es sei
ein geringeres Vergehen, tausend Menschen umzubringen, als nur einmal
an einem Sonntag einem Armen den Schuh zusammenzunähen. Der Untergang
der ganzen Welt mit all ihrem Essen und ihrer Kleidung, wie sie sagen,
sei eher zu verantworten als eine einzige noch so unbedeutende Lüge.
Das Auftreten so vieler Scholastiker macht diese unaussprechlichen Spitzfindigkeiten
noch spitzfindiger, so daß man sich eher aus einem Labyrinth herauswindet
als aus dem Gewebe der Realisten, Nominalisten, Thomisten, Albertisten,
Occamisten und Scotisten. Dabei habe ich noch nicht einmal alle, sondern
nur die auffallenden Richtungen erwähnt. So viel mühselige Bildung
ist zu allen diesen Dingen erforderlich, daß die Apostel wohl einen
ändern Geist brauchten, wenn sie darüber mit dem neuen Theologenstand
disputieren wollten. Paulus konnte zwar den Glauben vorleben, hat aber
offenbar ohne die erforderliche Gelehrsamkeit definiert, als er sagte,
der Glaube ist der Inbegriff alles dessen, was wir erhoffen, das Unterpfand
dessen, was nicht sichtbar ist. So eindringlich er die Liebe vorgelebt
hat, so ungenau hat er im dreizehnten Kapitel des ersten Korintherbriefes
ihr Wesen gesehen und erläutert. Mit frommem Sinn haben die Apostel
die Eucharistie geweiht, würden aber, wie ich glaube, nicht mit derselben
Schärfe geantwortet haben, mit der die Scotisten dies behandeln,
und kaum Stellung nehmen, wenn man sie nach dem Zeitpunkt, von welchem
ab, und nach dem Zeitpunkt, bis zu welchem, befragen wollte, nach der
Transsubstantiation, nach der Möglichkeit gleichzeitiger Anwesenheit
des Leibes an verschiedenen Orten, nach dem Unterschied der Leibesbeschaffenheit
Christi im Himmel, am Kreuze und in der Eucharistie, nach dem Augenblick
der Transsubstantiation, wenn das Gebet, das sie bewirkt, als eine ausgedehnte
Quantität im Flusse ist. Sie kannten die Mutter Jesu, aber wer von
ihnen hat so philosophisch nachgewiesen, wie sie von der Erbschuld Adams
frei blieb, wie unsere Theologen? Petrus empfing die Schlüssel und
empfing sie von ihm, der sie keinem Unwürdigen anvertraute, und doch
weiß ich nicht, ob er die rechte Einsicht gehabt hat, mindestens
hat er den Tief sinn nicht erfaßt, wie der den Schlüssel der
Wissenschaft haben könne, der kein Wissen habe. Sie tauften überall,
lehrten aber nirgendwo, was die formale, materiale, wirkende und Zielursache
der Taufe sei. Auch der zerstörbare und unzerstörbare Charakter
der Taufe wird bei ihnen nicht erwähnt. Jene beteten zwar an, aber
im Geiste, und folgten lediglich dem Worte des Evangeliums, Gott sei ein
Geist, und die ihn anbeten, müßten ihn im Geiste und in der
Wahrheit anbeten. Anscheinend war ihnen aber noch nicht eröffnet,
daß man Christus in einem Bildchen anbeten müsse, das mit Kohle
auf die Wand gemalt ist und ihn mit zwei segnend erhobenen Fingern, langem
Haar und drei Strahlen an der Rundung des Hinterhaupts darstellt.
Wer könnte das auch begreifen, ohne zuvor sechsunddreißig volle
Jahre auf die „Natur" und „Übernatur" des Aristoteles
und der Scotisten verwendet zu haben? Immer wieder weisen die Apostel
auf die Gnade hin, unterscheiden aber nirgendwo zwischen der unverdient
empfangenen und der wohlgefällig machenden Gnade. Sie mahnen zu guten
Werken, kennen aber noch nicht den Unterschied zwischen wirkendem und
bewirktem Werk. Bei jeder Gelegenheit prägen sie das Gebot der Liebe
ein, kennen aber keine eingegebene neben einer erworbenen Liebe und erörtern
nicht, ob sie ein Akzidenz ist oder eine Substanz, ein geschaffenes oder
ungeschaffenes Ding. Sie verfluchen die Sünde, ich will aber tot
umfallen, wenn sie ohne scotitische Geistesbildung hätten wissenschaftlich
darlegen können, was das eigentlich ist, was wir Sünde nennen.
Man kann mir auch nicht einreden, daß Paulus, nach dessen Bildung
man alle beurteilen darf, alle die Quä-stionen, Streitfragen, Genealogien
und, wie er selbst sagt, Wortfechtereien verworfen hätte, wenn er
selbst dieser Feinheiten mächtig gewesen wäre.
Alle Streitigkeiten und Auseinandersetzungen waren nämlich zu jener
Zeit noch bäurisch und grobschlächtig, wenn man sie mit den
überchrysippischen Feinheiten unserer Professoren vergleicht. Trotzdem
stellen wirklich bescheidene Menschen mögliche Verstöße
der Apostel gegen stilistische Feinheit und wissenschaftliche Tiefe keineswegs
bloß, sondern geben eine verständliche Auslegung. Diese Ehre
gebührt der apostolischen Frühe, in deren Namenlosigkeit sie
mit ihrer Arbeit aufgegangen sind. Beim Herkules, es wäre auch unbillig,
Dinge von den Aposteln zu verlangen, über die sie von ihrem Meister
nicht einmal ein Wort gehört haben. Wenn dasselbe bei Chrysostomus,
Basilius oder Hieronymus vorkommt, begnügen sie sich hinzuzuschreiben:
„Man ist nicht gebunden." Auch haben die Apostel die heidnischen
Philosophen und die Juden, die von Natur aus die störrischsten waren,
widerlegt, aber mehr durch ihre Lebensführung und durch Wunder als
durch Syllogismen, waren also Menschen, von denen kein einziger auch nur
imstande wäre, bloß das Quodlibet des Scotus zu begreifen.
Welcher Heide und Ketzer dagegen würde heutzutage nicht im Nu vor
solch haarkleinen Spitzfindigkeiten das Feld räumen, er müßte
denn in seiner Einfalt nicht begreifen oder mit Widerspruch seine Unverschämtheit
beweisen oder aber für einen Gang mit gleichen Waffen gerüstet
sein. Es ist genauso wie beim Kampf zweier Magier miteinander oder bei
der feindlichen Begegnung zweier Menschen, die beide ein Zauberschwert
besitzen: Der Ausgang ist dabei ebensowohl abzusehen wie bei der Webarbeit
der Penelope (die auch niemals fertig wurde).
Meiner Ansicht nach täten die Christen wohl daran, wenn sie statt
ansehnlicher Söldnerheere, die einst schon zu keiner Entscheidung
kamen, die scotistischen Schreihälse, die eigensinnigen Occamisten
und die unüberwindlichen Albertisten samt dem ganzen Sophistenhaufen
gegen die Türken und Sarazenen aufbieten würden. Sie würden,
glaube ich, das Schauspiel eines einmalig sinnigen Zusammenstoßes
und einen unvorhergesehenen Sieg erleben. Wessen Gleichmut vermöchten
ihre Spitzfindigkeiten nicht zu entflammen und wessen Stumpfsinn würden
solche Stachel nicht aufbringen? Wer ist so scharfäugig, daß
sie ihn nicht in ärgste Finsternis bringen könnten?
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