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Originallink: http://www.pinselpark.org/philosophie/e/erasmus/torheit/torheit_01.html


 

Erasmus von Rotterdam

Lob der Torheit (20)

Das haben die Geistlichen mit den Weltleuten gemeinsam, daß sie alle auf ihren Vorteil bedacht sind und keiner es dabei an Gesetzeskenntnis fehlen läßt. Irgendwelche Lasten wälzt man wohlweislich auf fremde Schultern ab und reicht sie wie einen Ball von Hand zu Hand weiter. Wie bei den weltlichen Fürsten die Last der Regierung in der Hand eines Statthalters ruht und der eine Statthalter sie dem ändern weitergibt, so überlassen sie aus reiner Bescheidenheit den Eifer in der Frömmigkeit dem gemeinen Volk. Das Kirchenvolk wiederum überläßt ihn den sogenannten Kirchenläufern, als ob es selbst mit der Kirche gar nichts zu tun und das Taufgelöbnis weiter keine Wirkung hätte. Die Weltpriester tun wieder so, als ob sie für die Welt und nicht für Christus bestimmt wären, und wälzen diese Last auf die Kanoniker, die Kanoniker auf die Mönche, die freieren Mönche auf die strengeren, alle zusammen auf die Bettelmönche und die Bettelmönche auf die Kartäuser, bei denen allein die Frömmigkeit in Grabesruhe verborgen ist, und zwar so verborgen, daß man sie kaum jemals sehen kann. Dieselben Päpste, die bei der Ernte des Geldes so peinlich genau sind, übertragen die vornehmlich apostolischen Mühen auf die Bischöfe, die Bischöfe auf die Pfarrer, die Pfarrer auf die Vikare und die Vikare auf die Bettelmönche. Diese stoßen sie ab an die Schafscherer.
Doch es ist nicht unsere Absicht, den Lebenswandel der Päpste und Priester zu durchleuchten. Ich will nicht den Eindruck eines Satirikers statt eines Enkomiasten machen, und es soll niemand glauben, ich wollte gute Fürsten durchhecheln, wenn ich die schlechten bloßstelle. Ich habe das nur kurz gestreift, um zu zeigen, daß kein Mensch ohne meine Weihe und Gunst ein angenehmes Leben führen kann. Wie sollte das auch anders sein, da doch selbst Fortuna, die Mehrerin menschlicher Wohlfahrt, mit mir eines Sinnes ist und gerade den Weisen immer denkbar mißgünstig bleibt, den Toren dagegen noch im Schlaf Annehmlichkeiten in Fülle gönnt. Ihr kennt ja den Timotheos, der seinen Ruf davon hat, und das Sprichwort „Den Seinen gibt's der Herr im Schlafe". Ihr kennt auch das andere Sprichwort „Die Eule fliegt", das auf die Toren zutrifft. Auf die Weisen passen dagegen die Worte „Unter dem letzten Viertel des Mondes geboren", „Er hat ein Sejuspferd" oder „Er hat das Gold von Toulouse". Doch ich will nicht weiter Sprüchlein machen, sonst komme ich noch in Verdacht, die „Adagia" meines Erasmus geplündert zu haben.
Zur Sache also! Das Glück bevorzugt die Kleinmütigen und die Tollkühnen, von denen es heißt: „Der Würfel ist gefallen." Die Weisheit dagegen macht sie ängstlich; daher seht ihr auch die Weisen immerzu in Armut, Hunger und Unrat, verachtet, ruhmlos und verhaßt, während den Toren Geld und öffentliche Ämter zuströmen, ja einfach alles nach Wunsch gerät. Wenn einer sein Glück darin findet, den hochgeborenen Herrschaften schönzutun und sich in der Gesellschaft jener gold- und edelsteingeschmückten Götter zu bewegen, was gibt es dann Hinderlicheres als die Weisheit, ja was ist bei diesen Menschen verrufener? Nehmen wir an, es ginge darum, Reichtümer aufzuhäufen! Wie will der Händler einen Gewinn erzielen, wenn er nach dem Gebot der Weisheit an einem Meineid Anstoß nimmt, wenn er, auf einer Lüge ertappt, errötet oder wenn er den Gewissensbedenken der Weisen gegen Diebereien und Wucher auch nur die geringste Bedeutung beimißt? Im Wettbewerb um geistliche Ämter und Pfründen wird sich ein Büffel eher durchsetzen als ein Weiser. In der Liebe hängen die Mädchen eindeutig mit ganzem Herzen an den Toren, den Weisen meiden und verabscheuen sie wie einen Skorpion. Alle, die Wert auf ein wenig Glanz und Freude im Leben legen, sondern sich gegen den Weisen ab und gewähren lieber jedem Tier Zutritt. Wohin du dich kehrst, bei Päpsten, Fürsten, Richtern, Politikern, Freunden, Feinden, Hochgestellten und kleinen Krautern erreicht man nur etwas mit klingender Münze. Da der Weise nichts davon wissen will, geht man ihm gewöhnlich mit Fleiß aus dem Wege.
Mein Lob kennt kein Ziel und keine Grenze, und doch muß die Rede einmal ein Ende haben. Ich will also Schluß machen, zuvor aber noch kurz darauf hinweisen, daß viele bedeutende Schriftsteller mich in ihren Darstellungen und in ihrem Verhalten hervorgestochen haben; es soll ja keiner glauben, ich würde mir nur nach Torenart selbst um den Bart fahren, und die Gesetzkrämer sollen nicht zischeln, ich könne mich auf nichts berufen. Wir berufen uns auf ihr eigenes Beispiel und machen immerzu viel Lärm um nichts. Alle Welt ist überzeugt, daß, wie es im Sprichwort heißt, Vorspiegelung das beste ist, wo die sachliche Voraussetzung fehlt. Deshalb prägt man den Kindern gleich mit Recht folgenden Vers ein: Sich im richtigen Augenblick töricht zu stellen, ist die höchste Weisheit. Erwägt doch selbst, wie wertvoll die Torheit ist, deren trügerischer Schatten und bloße Nachahmung bei den Gelehrten noch so viel Anerkennung findet. Das ansehnlich fettglänzende rundliche Schwein aus der Herde Epikurs rät, allen Überlegungen Torheit beizumischen, einen Schuß Torheit, wie es nicht gerade glücklich einschränkt. Gleichwohl heißt es an anderer Stelle bei dem gleichen Horaz: Es ist angenehm, im rechten Augenblick verrückt zu sein. Wieder an anderer Stelle möchte er lieber blöde und ungeschickt erscheinen als weise und verärgert sein. Schon bei Homer wird Telemach, den der Dichter bei jeder Gelegenheit lobt, wiederholt unmündig genannt, und das gleiche Beiwort gebrauchen die tragischen Dichter gewissermaßen in auszeichnendem Sinn gern für Kinder und junge Leute, wie um sie als Glückspilze darzustellen. Was ist denn die erhabene Ilias anders als ein Getobe von törichten Königen und Völkern? Wie unumschränkt ist Ciceros Anerkennung: Alles sei durchsetzt von Torheit. Wer wollte aber abstreiten, daß jedes Gut um so bedeutender ist, je verbreiteter es ist?
Doch vielleicht haben solche Autoritäten unter Christen kein Gewicht. Versuchen wir also unser Ansehen möglichst auch mit dem Zeugnis der Schrift zu stützen oder nach gelehrtem Sprachgebrauch darzulegen! Zunächst bitte ich die Theologen um Verzeihung für das oben Gesagte, damit sie uns ihr Imprimatur erteilen, dann aber auch, weil wir einen ernsthaften Gegenstand behandeln wollen. Vielleicht wäre es unziemlich, aufs neue die Musen vom Helikon zu solchem Unterfangen herabzubemühen, zumal der Gegenstand etwas weithergeholt ist. Der Wunsch könnte verständlich erscheinen, daß bei solch theologischen Absichten und vor solch dornigem Pfad die Seele des Scotus aus ihrer Sorbonne ein wenig in mein Inneres niedersteige. Ist sie doch stachliger als jeder Igel und jedes Stachelschwein, mag dafür aber auch bald wieder verschwinden, wohin sie will, meinetwegen mag sie zum Teufel gehen. Könnte man nur ein anderes Gesicht aufsetzen und einen Theologenornat anlegen! Ich fürchte aber, daß mich jemand des Diebstahls bezichtigt, als hätte ich insgeheim die Schreine unserer Meister geplündert, während ich so viel Theologie treibe. Es darf kaum verwunderlich erscheinen, wenn ich in so dauerhafter und freundschaftlich enger Verbundenheit mit den Theologen mir etwas angeeignet habe. Auch der feigenhölzerne Priap hat ja einige griechische Brocken auf geschnappt und behalten, als sein Herr las, und der Hahn des Lukian verstand sich nach jahrelangem Umgang in menschlicher Gesellschaft ausgezeichnet auf die menschliche Sprache.




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