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Erasmus von Rotterdam
Lob der Torheit (5)
Vielleicht meiden aber manche derartige Vergnügungen und finden
ihr Behagen in liebevollem Freundesverkehr, wobei sie die Freundschaft
als das Vorzüglichste
anpreisen. Sie sei fast notwendiger als Luft, Feuer und Wasser und dabei so
angenehm, daß man dem Leben seine Sonne nähme, wenn man sie beseitigte.
Dabei sei sie so angesehen — sofern das hier eine Rolle spielt —,
daß sogar die Philosophen keine Bedenken hatten, sie unter die hervorragenden
Güter zu zählen. Was würdet ihr aber sagen, wenn ich behaupte,
daß ich Alpha und Omega auch dieses erhabenen Gutes bin? Ich will es
nicht mit irgendwelchen dialektischen Fechterkunststückchen beweisen,
sondern ganz einfach mit dem Finger darauf zeigen. Ein Auge zudrücken,
Vorliebe haben, blind sein, die Fehler der Freunde verharmlosen, gewisse auffallende
Schwachen sogar als Vorzüge lieben und bewundern, paßt das denn
etwa nicht zur Torheit?
Der eine küßt das Muttermal seiner Freundin,
den ändern macht die Schnupfennase seiner Agnes selig, und die Schielaugen
seines Sohnes nennt der Vater schmachtend. Ich frage euch nun: Was ist das
denn anderes als unverfälschte Torheit? Sie mögen es drei- und viermal
beklagen, daß das töricht sei, diese Torheit allein aber stiftet
und erhält Freundschaften. Ich spreche von den Menschen, von denen keiner
fehlerfrei auf die "Welt kommt. Der beste ist, der am wenigsten davon
bedrückt wird. Dagegen kommt unter jenen Göttern der Weisheit entweder überhaupt
keine Freundschaft zustande oder nur eine griesgrämige und freudlose,
und diese auch nur in ganz seltenen Fällen; denn sie lassen sich nie zu
einem Gespräch mit jemand herab, weil die meisten Menschen ohne Einsicht
sind, ja jeder sogar nach Kräften spinnt und die Freundschaft doch nur
unter gleichen bindende Kraft hat. Kommt es unter jenen Gestrengen wirklich
einmal zu gegenseitiger Zuneigung, ist sie gewiß unzuverlässig und
nicht von langer Dauer. Das ist auch kein Wunder bei Eigensinnigen und so übertrieben
Scharfäugigen, daß sie an den Freunden mit Adlerblick und unfehlbar
wie die Epidaurische Schlange auch den kleinsten Fehler ausmachen. Wie blind
sind sie dabei gegen die eigenen Schwächen und bemerken nicht, wie ihnen
der Mantel schief hängt.
Es gehört nun einmal zum menschlichen Wesen,
daß jeder Charakter sein gerüttelt Maß an Fehlern hat. Dazu
kommt dann die Verschiedenheit der Geistesrichtung und Studien, mancherlei
Mängel, Irrtümer und Unvermeidlichkeiten des menschlichen Lebens.
Wie könnte unter jenen Argusaugen angenehme Freundschaft auch nur eine
Stunde währen, wenn nicht die von den Griechen so genannte Gelassenheit
hinzuträte? Das Wort kannst du mit Torheit oder Umgänglichkeit übersetzen.
Was das hier soll? Ist Cupido, der Urheber und Vater jeder Verbindung, nicht
geradezu kurzsichtig? Da ihm (nach einem Worte Theokrits) das Unschöne
schön erscheint, bringt er es fertig, daß jedem das Seine prächtig
vorkommt, der Mummelgreis die Vettel und der grüne Junge den Backfisch
inbrünstig liebt. So ist es überall und erregt überall Gelächter,
und doch fügen und festigen solche Lächerlichkeiten das gesellschaftliche
Behagen. Was von der Freundschaft gilt, muß man auch auf die Ehe anwenden,
die doch nichts anderes ist als die ungeteilte Lebensgemeinschaft. Bei Gott,
welche Scheidungen und schlimmere Unzuträglichkeiten würden überall
im Schwange sein, wenn nicht der häusliche Umgang zwischen Mann und Frau
mit Scherz, Freundlichkeit, Irrtum und Verstellung, meiner offenbaren Gefolgschaft,
Kraft und Stärke gäbe. Wie wenig Ehen kämen zustande, wenn der
Bräutigam sorgsam feststellen wollte, was für Schäkereien die
reizende und anscheinend so schamhafte Jungfrau schon lange vor der Hochzeit
unternommen hat? Wie selten würden sie den Anfang überdauern, wenn
die Gleichgültigkeit oder Beschränktheit des Mannes nicht die meisten
Schandtaten der Frau übersähe? Das geht von Rechts wegen alles zu
Lasten der Torheit, denn sie sorgt dafür, daß die Gattin dem Gatten
angenehm bleibt und umgekehrt der Gatte der Gattin, daß Ruhe im Hause
herrscht und die Verbindung dauerhaft bleibt. Man lacht, und der Kuckuck, Hahnrei,
oder wie man ihn sonst nennt, verwindet die Tränen über den Ehebruch
bei Schmeicheleien.
Wieviel mehr Glück bringt es, so zu irren, als mit
kleinlicher Eifersucht das Ganze zu einer Tragödie zu machen? Es kann
schlechthin keine Gemeinschaft, keine Lebensverbindung ohne mich erfreulich
oder stetig sein. Das Volk erträgt den Fürsten nicht lange, der Herr
seinen Knecht nicht, das Gesinde keinen Herrn, der Lehrer keinen Schüler,
der Freund keinen Freund, der Gatte seine Gattin nicht, der Eigentümer
keinen Pächter, der Hausgenosse keinen Hausgenossen und der Tischgenösse
keinen Tischgenossen, wenn sie nicht gemeinsam bald irren, bald schmeicheln,
bald einander weise durch die Finger sehen, bald sich gegenseitig den Honig
der Torheit ums Maul schmieren. So einleuchtend das alles ist, ihr sollt noch
Besseres, hören.
Wird jemand einen ändern lieben, der sich selbst haßt? Gibt es Übereinstimmung
mit dem ändern, wo man sich selbst im Wege ist? Kann man einem ändern
Vergnügen bereiten, wenn man sich selbst hinderlich und beschwerlich ist?
Das wird niemand behaupten, wenn er nicht selbst törichter ist als die
Torheit. Wo man mich ausschließt, kann keiner den ändern ausstehen
und muß sich selbst zur Last fallen; abscheulich erscheint ihm, was er
an sich hat, und die eigene Person ist ihm verhaßt. Die Natur, die in
manchen Dingen mehr Stiefmutter als Mutter ist, hat nun einmal die Menschen,
vor allem herzhaftere Charaktere, so geschaffen, daß sie ihrer selbst
leicht überdrüssig werden und das Fremde bewundern. Woher kommt es
denn, daß alle Talente, aller Geschmack und Glanz des Lebens verderben
und schwinden? Was nützt schon die Gestalt, die vorzüglichste Gabe
der unsterblichen Götter, wenn sie in Fäulnis übergeht? Wozu
haben wir die Jugend, wenn sie vom Trübsinn des Alters entstellt wird?
Was willst du denn in den verschiedenen Lagen des Lebens selbst oder bei anderen
mit Schicklichkeit erreichen — die Schicklichkeit deines Tuns ist nicht
nur in der Kunst, sondern auch im täglichen Leben der Maßstab jedes
Handelns —, wenn dir nicht die Eigenliebe zur Seite steht, die ich mit
Fug und Recht als Schwester betrachte. So nachdrücklich verficht sie überall
meine Sache. Könnte es auch eine größere Torheit geben als
die Selbstgefälligkeit und die Selbstbeweihräucherung? Was könnte
anderseits geschmackvoll, liebenswert oder schicklich an deinem Tun sein, wenn
du dir selbst mißfielest? Nimm dem Leben diese seine Würze, und
der Redner wird kaltlassen mit seinen Worten, der Musiker wird mit seinen Weisen
keinen Beifall ernten, der Schauspieler wird ausgezischt mit seinen Gebärden,
der Dichter ruft mit seinen Werken Gelächter hervor, der Maler stößt
mit seinem Bild auf Ablehnung, und der Arzt hungert inmitten seiner Heilmittel.
So könntest du aus einem (schönen) Nireus leicht zu einem (häßlichen)
Thersites, aus einem Phaon ein Nestor, aus einer Minerva ein Schwein, aus
einem Redegewandten ein Tölpel, aus einem Weltmann ein Bauernlümmel
werden.
Es muß jeder ohne Ausnahme sich selbst schmeicheln und gewissermaßen
sein eigenes Lob singen, ehe er anderen genehm ist. Schließlich hängt
das Glück ja zum großen Teil davon ab, daß du innerlich zu
dir ja sagst. Meine Philautia (Eigenliebe) sorgt aber dafür, daß keiner
sich seiner Gestalt, seiner Veranlagung, seiner Herkunft, seiner Lage, seiner
Lebensweise und seiner Heimat schämt. Das geht so weit, daß der
Irländer nicht einmal mit dem Italiener, der Thraker nicht mit dem Athener
und der Skythe nicht mit den Inseln der Glückseligen tauschen möchte.
O einzigartige Fürsorge der Natur, die bei solcher Vielfalt überall
Ausgleich schafft! Wo sie einem Menschen weniger Talent gegeben hat, pflegt
die Philautia ein wenig hinzuzutun; dies hier habe ich allerdings so töricht
gesagt, weil meine Begabung darin am höchsten ist.
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