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Originallink: http://www.pinselpark.org/philosophie/e/erasmus/torheit/torheit_01.html


 

Erasmus von Rotterdam

Lob der Torheit (24)

Doch da wir einmal unsere Eselsgestalt in das Löwenfell der Bildung gekleidet haben, wollen wir auch noch beweisen, daß die Seligkeit der Christen, die sie unter so viel Mühen erstreben, nichts anderes ist als eine Art Verrücktheit oder Torheit. Nehmt an den Worten keinen Anstoß und überlegt lieber sachlich! Zusammen mit den Platonikern sind die Christen der Ansicht, daß die Seele in den Fesseln des Körpers gebunden und begraben sei und durch seine Stofflichkeit gehindert werde, die Wahrheit zu schauen und zu genießen. Die Philosophie wird dabei als Betrachtung des Todes erklärt, weil durch sie der Geist von den sichtbaren und körperhaften Dingen abgelenkt wird, und dasselbe bewirkt ja überall der Tod. Solange nun die Seele von den körperlichen Organen den rechten Gebrauch macht, nennt man sie bei Sinnen. Sobald aber die Fesseln gesprengt sind und sie Freiheit gewinnen will, das heißt also auf Flucht aus dem Gefängnis sinnt, spricht man von Unbesonnenheit. Ist Krankheit oder ein organischer Fehler die Ursache, sprechen alle einstimmig von Verrücktheit. Gleichwohl sehen wir solche Menschen die Zukunft vorhersagen, in Zungen reden und Wissenschaften verstehen, die sie niemals gelernt haben. Im ganzen kann man sagen, daß ein Schimmer göttlichen Wesens sie umgibt. Unzweifelhaft kommt es daher, daß der Geist, sobald er von der Bindung ans Körperliche ein wenig frei geworden ist, seine natürliche Kraft zu entfalten beginnt. Aus dem gleichen Grunde kommen die Menschen in der Sterbestunde in eine ähnliche Lage, so daß sie wie Erleuchtete weissagen. Wenn der Frömmigkeitseifer zu diesem Ergebnis führt, ist es vielleicht nicht die gleiche Art Verrücktheit, ist aber doch so hart daran, daß viele Menschen es als bare Verrücktheit bezeichnen, zumal nur einige wenige Erdenkinder sich in ihrer ganzen Lebensweise von der menschlichen Gemeinschaft absondern. Daher geht es jenen gewöhnlich so wie im Gleichnis des Platon jenen, die in der Höhle gebunden die Schatten der Dinge anstaunen, und jenem Ausreißer, der in die Höhle zurückkommt und behauptet, das Wesen der Dinge geschaut zu haben. Sie seien im Irrtum, meinte er, weil sie glaubten, es gebe nichts anderes als die elenden Schatten. So bedauert und beweint der Weise ihre verrückte Befangenheit in solchem Irrtum, wogegen sie wieder über seine Verrücktheit lachen und ihn hinausschmeißen. Dasselbe macht der große Haufen, der das grob Körperliche schätzt und es für allein wirklich hält. Die Frommen hingegen mißachten alles, je körperhafter es ist, und geben sich ganz der Beschauung der unsichtbaren Dinge hin. Jene schätzen den Reichtum über alles, nächst diesem die körperlichen Bequemlichkeiten und räumen der Seele den geringsten Anspruch ein; die meisten glauben nicht einmal an ihr Dasein, weil sie nicht sichtbar ist. Dagegen wenden sich die Frommen vor allem zu Gott, dem Urgrund der Einfachheit.
An zweiter Stelle kommt bei ihnen die Seele, aber nur, weil und insofern sie Gott am nächsten ist. Um das körperliche Leben machen sie sich keine Sorge, mißachten und meiden das Geld geradezu wie Ballast. Müssen sie sich mit solchen Dingen abgeben, tun sie es nur ärgerlich und mit deutlichem Ekel. Sie „haben, als ob sie nicht hätten, und besitzen, als ob sie nicht besäßen". Auch in der Sinneswelt machen sie noch besondere Unterschiede. Obwohl alle Sinne am Körper haften, sind doch manche darunter gröber, wie Gefühl, Gehör, Gesicht, Geruch und Geschmack. Andere sind weniger körperhaft, wie Gedächtnis und Wille. Wohin sich die Seele wendet, dort ist ihr Einfluß bestimmend. Da nun die Frommen alle Kraft der Seele von den gröberen Sinnen abziehen, werden diese gleichsam stumpf und unempfindlich. Die große Masse ist gerade hier besonders geweckt, in den geistigeren Sinnen aber denkbar unentwickelt. So kommt es, daß man von manchen Heiligen hört, die Öl statt Wein getrunken hätten.
Auch unter den seelischen Regungen gibt es grob körperliche, wie Brunst, Eßlust, Schlafsucht, Jähzorn, Stolz und Neid. Unversöhnlich stehen die Frommen mit ihnen auf Kriegsfuß, während der Menge das Leben ohne sie nicht lebenswert ist. Es gibt auch gleichsam natürliche Regungen, die die Mitte halten, wie Vaterlandsliebe, Kinderliebe, Elternliebe und Freundesliebe. Auch diesen mißt die Menge einen gewissen Wert bei, die Frommen bemühen sich aber, auch sie aus ihrer Seele zu entfernen, soweit sie sich nicht ins rein Geistige erheben und der Vater nicht mehr als Vater — was hat er denn anders gezeugt als den Körper, obwohl selbst der noch von Gott geschaffen ist? —, sondern als guter Mensch erscheint, in dem das Bild jenes höchsten Geistes sichtbar wird, den sie das einzige und höchste Gut nennen und neben dem nach ihrer Behauptung nichts Liebe und Eifer verdient. Nach diesem Maße messen sie alle anderen Aufgaben des Lebens, und wenn etwas Sichtbares noch so verdienstlich ist, geben sie dem Unsichtbaren doch ohne Bedenken den Vorzug. Sie sagen aber, daß man auch bei den Sakramenten und selbst im Frömmigkeitsleben das Körperliche vom Geistigen unterscheiden könne.
Beim Fasten bedeutet es noch gar nichts nach ihrer Meinung, wenn einer sich nur vom Fleisch und der Abendmahlzeit enthält — was der gemeine Haufen ja bereits für ein vollkommenes Fasten ansieht —, wenn er nicht gleichzeitig die Begierden einschränkt, weniger rasch aufbraust als gewöhnlich und seinen Stolz mäßigt, damit der Geist freier atmet unter seiner körperlichen Last und sich zum freudigen Genuß der himmlischen Güter erhebt. Ähnlich ist bei der Eucharistie der äußere Vorgang, obwohl er keineswegs gleichgültig sei, wie sie sagen, an sich ungenügend oder gar verderblich, wenn das Geistige nicht hinzukommt, also das in jenen sichtbaren Zeichen Dargestellte. Dargestellt wird aber der Tod Christi, den die Menschen durch Bändigung, Tilgung und gleichsam durch das Begräbnis ihrer körperlichen Leidenschaften verwirklichen müssen, damit sie zu neuem Leben auferstehen und mit ihm und unter sich eins werden. Auf solches sinnt und richtet sich der Fromme ein. Das Volk glaubt aber, daß das Opfer nichts anderes sei als der Kirchenbesuch, und zwar ein möglichst häufiger Kirchenbesuch, das Anhören beliebigen Wortgeklingels und das Zuschauen bei dergleichen Zeremonien. Doch nicht bloß in diesen Dingen, die wir nur als Beispiel angeführt haben, sondern überall im Leben hält sich der Fromme vom Körperhaften fern. Das Ewige, Unsichtbare und Geistige hält seinen Sinn gefangen. Dieser unüberbrückbare Gegensatz der Anschauungen führt dazu, daß beide Parteien einander als verrückt betrachten. Gleichwohl paßt das Wort meiner Ansicht nach besser auf die Frommen als auf die große Masse.
Das wird noch deutlicher erkennbar, wenn ich meinem Versprechen gemäß in Kürze beweise, daß jenes höchste Entzücken nichts anderes ist als eine Art Verrücktheit. Ihr werdet mir zugeben, daß Platon etwas Ähnliches gedacht hat, als er schrieb, die Liebesraserei sei das Allerseligste. Wer heftig liebt, lebt schon nicht mehr in sich, sondern im Gegenstand seiner Liebe. Je weiter er von sich selbst abkommt und in jenen eingeht, um so größer wird ständig seine Freude. Wenn die Seele von dem Körper scheiden will und ihre Werkzeuge nicht recht gebraucht, wird man ohne Zweifel von Raserei sprechen können. Was soll es denn sonst heißen, was man allgemein sagt: „Er ist nicht bei sich" und „Komm zu dir!" und „Er hat sich gefaßt"? Je vollkommener die Liebe ist, um so heftiger und seliger ist die Raserei. Wie wird also das himmlische Leben beschaffen sein, nach dem die frommen Seelen mit solcher Inbrunst aufseufzen? Als überlegener Sieger wird der Geist den Körper aufzehren, und er wird es um so leichter tun, weil er den Körper im Leben schon längst auf diese Verwandlung hin geläutert hat, dann aber wird auch der Geist von jenem höchsten Geist auf wunderbare Weise aufgezehrt, da dieser ja unendlich mächtiger ist. Wenn so der ganze Mensch außer sich ist, erfährt er etwas Unaussprechliches von dem höchsten Gut, das alles an sich zieht. Immerhin wird diese Seligkeit erst dann vollkommen zuteil, wenn die Seelen ihren früheren Körper wieder empfangen haben und Unsterblichkeit genießen.
Da aber das Leben der Frommen nur die immerwährende Betrachtung und gleichsam der Schatten jenes Lebens ist, verspüren sie gelegentlich schon einen Geschmack oder Hauch des Lohnes. Obwohl das nur ein winziges Tröpfchen ist im Vergleich zur Quelle der ewigen Seligkeit, übertrifft es doch bei weitem alle Lust des Körpers, auch wenn man alle Köstlichkeiten der Welt zusammennimmt. So hoch steht das Geistige über dem Körperlichen, das Unsichtbare über dem Sichtbaren. Das ist es, was der Prophet verheißt: „Kein Auge hat es gesehen, und kein Ohr hat es gehört, in keines Menschen Herz ist es gedrungen, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben." Das ist auch der Teil der Maria, der ihr nicht genommen wird im Wandel der Dinge, sondern zur Vollendung reift. Die das fühlen durften — es wird aber ganz wenigen zuteil —, erleiden etwas, was der Entrückung sehr nahekommt, sprechen unzusammenhängende Worte und machen sich nicht nach Menschenart, sondern ohne Sinn bemerkbar, wobei sie unvermittelt den Gesichtsausdruck völlig wechseln. Bald sind sie erregt, bald niedergeschlagen, bald weinen, bald lachen und bald seufzen sie. Kurz gesagt, sie sind ganz außer sich. Wenn sie wieder zu sich kommen, wollen sie nicht wissen, wo sie gewesen sind, ob im Körper, ob außerhalb des Körpers oder im Schlaf. Sie erinnern sich nur nebelhaft und wie nach einem Traum, was sie gehört, gesehen, gesagt und getan haben, und wissen nur so viel, daß sie in tiefster Seligkeit waren, als sie so entrückt wurden. Deshalb bedauern sie auch, daß sie wieder zur Besinnung gekommen sind, und möchten am liebsten auf immer in solcher Verrücktheit von Sinnen sein. Trotzdem ist es nur eine dürftige Kostprobe der künftigen Seligkeit.
Doch ich bin in meiner Vergeßlichkeit schon längst über das Ziel hinausgeschweift. Sollte ich in meinen Worten zu bissig oder geschwätzig gewesen sein, bedenkt immer, daß ich als Torheit und Frau zu euch gesprochen habe. Denkt aber auch an das wohl griechische Sprichwort, daß oft auch ein törichter Mensch ein treffendes Wort sagt, sofern ihr nicht etwa meint, das Wort beziehe sich nicht auf Frauen.
Ich sehe, ihr wartet auf ein Nachwort. Ihr seid aber nicht recht gescheit, wenn ihr annehmt, ich könnte mich nach solch kunterbuntem Allerlei noch meiner Worte erinnern. Ein altes Sprichwort heißt: „Ich hasse einen nachhaltenden Zechgenossen. Ein modernes Sprichwort sagt: „Ich hasse einen nachhaltenden Zuhörer." Lebt also wohl, klatscht Beifall, lebt und trinkt, ihr hochgepriesenen Mysten der Torheit!

   




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