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Originallink: http://www.pinselpark.org/philosophie/e/erasmus/torheit/torheit_01.html


 

Erasmus von Rotterdam

Lob der Torheit (23)

Ich wollte nur auf folgendes hinweisen: Wenn jene erhabenen Meister das dürfen, soll man auch mir als einem theologischen Analphabeten durch die Finger sehen, wenn ich alles weniger erschöpfend behandle. Jetzt will ich aber endlich auf Paulus zurückkommen. „Willig", sagt er, „ertragt ihr die Narren", und spricht dabei von sich. Und wiederum: „Nehmt mich als einen Narren hin! Ich spreche nicht im Sinne des Herrn, sondern gleichsam in Narrheit." „Wir", sagt er, „sind Toren um Christi willen." Ihr hört, von welch hervorragendem Autor hier die Torheit, hochgepriesen wird. Empfiehlt der gleiche Apostel die Torheit nicht geradezu als vordringlich lebensnotwendig und überaus heilsam? „Wer sich unter euch weise dünkt, werde ein Tor, damit er weise ist." Bei Lukas nennt Jesus die zwei Jünger, denen er sich unterwegs angeschlossen hatte, Toren. Das scheint mir weiter gar nicht erstaunlich, wo doch der heilige Paulus Gott selbst Torheit nachsagt. „Was bei Gott töricht ist", sagt er, „ist weiser als die Menschen." Origines sträubt sich allerdings dagegen, diese Torheit mit der menschlichen Auffassung zu vergleichen, er begreift sie in dem Sinne, daß das Wort vom Kreuz denen Torheit ist, die in ihr Verderben rennen.
Doch ich halte es für zwecklos, immerzu diese Dinge mit peinlicher Sorgfalt und einem Aufgebot an Zeugnissen auszubreiten. Sagt doch Christus in den mystischen Psalmen selbst ganz klar zum Vater: „Du kennst meine Torheit." Es kommt also nicht von ungefähr, daß die Toren bei Gott so gut angeschrieben sind. Auch die fürstlichen Häupter begegnen kühnen Naturen nur mit Mißtrauen und Abneigung wie Cäsar dem Brutus und Cassius, wogegen er den trunksüchtigen Antonius nicht im geringsten fürchtete, oder wie Nero dem Seneca und Dio-nysius dem Platon; an Tölpeln und Einfaltspinseln dagegen haben sie ihre Freude. So wendet sich auch Christus immer ausdrücklich gegen die eingebildeten Klugen und verurteilt sie. Paulus bezeugt das einleuchtend mit den Worten „Was vor der Welt Torheit ist, hat Gott erwählt", oder wenn er sagt, Gott habe es gefallen, durch Torheit die Welt zu erlösen, da er sie ja durch Weisheit nicht wiederherstellen konnte. Durch den Mund des Propheten verkündet er offen: „Die Weisheit der Weisen werde ich zunichte machen und die Klugheit der Klugen verwerfen." Er gibt uns recht, wenn er dafür dankt, daß das Geheimnis der Erlösung den Weisen verborgen blieb, den Kleinen aber, das heißt den Toren, eröffnet wurde. Das griechische Wort für „Kleine" bedeutet nämlich auch „Unverständige", und er stellt sie den Weisen gegenüber. Dem entspricht auch die allgemeine Heftigkeit im Evangelium gegen Pharisäer, Schriftgelehrte und Gesetzeslehrer und die auffallende Vorliebe für das ungebildete Volk. Was bedeutet denn das „Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer!" anders als „Wehe euch Weisen!". An Kindern, Frauen und Fischern dagegen scheint der Herr seine größte Freude gehabt zu haben. Ja, sogar unter der stummen Kreatur gefällt Christus am meisten, was an der Schläue des Fuchses den geringsten Anteil hat. Er bevorzugt den Esel als Reittier, obwohl er doch ohne Besorgnis auf einem Löwen hätte sitzen können, wenn er gewollt hätte. Der Heilige Geist kam in Gestalt einer Taube herab, nicht als Adler oder Falke; Hirschen, Maultieren und Lämmern begegnet man immer wieder in der Heiligen Schrift. Dazu paßt auch, daß er seine Auserwählten für das ewige Leben Schafe nennt. Ein dümmeres Tier gibt es ja nicht, was auch das aristotelische Sprichwort von dem Schafsbenehmen bestätigt. Es rührt von der Tölpelhaftigkeit dieses Viehs her, und man braucht es meistens als Scheltwort für Dummköpfe und stumpfsinnige Gesellen. Christus macht sich nun zum Hirten dieser Herde und legt sich selbst gern den Namen eines Lammes bei. Johannes weist ja auf ihn hin: „Siehe das Lamm Gottes!" In der Apokalypse wird es oft erwähnt.
Beweist das alles nicht eindeutig, daß alle Menschen töricht sind, sogar die frommen? Ist nicht Christus selbst, der doch die Weisheit des Vaters ist, auf eine gewisse Art zum Toren geworden, als er die Menschheit von ihrer Torheit erretten wollte und menschliche Gestalt annahm? So ist er auch zur Sünde geworden, um die Sünden zu tilgen. Er wollte sie aber nicht anders tilgen als durch die Torheit des Kreuzes, durch einfältige und plumpe Sendboten. Ihnen legt er die Torheit ans Herz und warnt sie vor der Weisheit, wenn er sie auf das Beispiel der Kinder, der Lilien, des Senfkorns und der winzigen Sperlinge verweist, die doch alle stumpf und fühllos sind und sich, frei von Arglist und Berechnung, nur vom natürlichen Instinkt leiten lassen. Ja, er verbietet ihnen jede Art Sorge, wie sie wohl vor den Großen sprechen sollten, er untersagt ihnen das Forschen nach Zeit und Gelegenheit, vielleicht, damit sie nicht auf die eigene Klugheit bauten, sondern ihre Sache ganz auf ihn stellten. In diesem Sinne warnt der Schöpfer die Menschen auch, vom Baum der Erkenntnis zu essen, als ob die Erkenntnis für das Glück Gift sei.
Paulus verwirft die Erkenntnis unverblümt als aufgeblasen und gefährlich. Soviel ich weiß, ist es der heilige Bernhard, der nach seinem Beispiel den Sitz des Luzifer als Berg der Erkenntnis deutet. Vielleicht darf man auch dies als Beweis nicht geringschätzen, daß die Torheit bei den Himmlischen beliebt ist, weil man ihr allein Irrtümer verzeiht, dem Weisen gegenüber aber unnachsichtig bleibt. Daher stellen sich die gerissenen Sünder, wenn sie um Verzeihung bitten, dumm und suchen ihre Zuflucht unter dem Schutzmantel der Torheit. Aaron bittet nämlich folgendermaßen um Gnade für seine Schwester: „Ich beschwöre dich, mein Herr, rechne uns diese Sünde, die wir in Torheit begangen haben, nicht an!" Auch Saul entschuldigt sich so bei David: „Es ist offenbar, daß ich töricht gehandelt habe." Selbst David schmeichelt sich so wieder beim Herrn ein: „Ich bitte dich, Herr, übersieh die Sünde deines Knechtes, da ich töricht gehandelt habe!" Er tut doch so, als ob er nur Gnade finden würde, wenn er Torheit und Unwissenheit vorschützt. Noch viel schwerer wiegt aber, was Christus am Kreuze sagte, als er für seine Feinde bat: „Vater, vergib ihnen!" Er fand dabei keine andere Entschuldigung als ihre Unklugheit: „Denn sie wissen nicht, was sie tun." Ähnlich schreibt Paulus an Thimotheus: „Ich habe die Barmherzigkeit Gottes deshalb erlangt, weil ich in Unwissenheit und Unglauben gehandelt." Was heißt aber „in Unwissenheit und Unglauben" anders als „Ich habe aus Torheit gehandelt, nicht aus Bosheit"? Was heißt „Ich habe die Barmherzigkeit deshalb erlangt" anders als „Ich würde sie nicht erlangen, wenn ich nicht durch die Fürsprache der Torheit empfohlen wäre"? Der mystische Psalmendichter — eine Stelle, die ich eben schon hätte erwähnen müssen — mag für uns sprechen: „Gedenke nicht der Sünden meiner Jugend und meiner Unwissenheiten!" Ihr hört, welche zwei Dinge er vorschützt, -das Alter nämlich, dem ich immer gern zur Seite stehe, und die Unwissenheiten, die er auffälligerweise in der Mehrzahl anführt, um uns die Bedeutung und Wirkung der Torheit nahezubringen.
Ich will mich aber nicht in endlose Einzelheiten verlieren und es nach meiner Art geradeheraus sagen: Die christliche Religion hat allem Anscheine nach eine innige Verwandtschaft mit der Torheit und recht wenig mit der Weisheit gemeinsam. Wollt ihr die Beweise dafür haben, dann richtet euer Augenmerk zunächst einmal auf die Kinder, Greise, Frauen und einfältigen Seelen, die mehr als alle anderen ihre Freude an Gottesdiensten und religiösen Übungen haben und deshalb, wie von der Natur getrieben, immer in unmittelbarer Nähe der Altäre sind. Zudem seht ihr ja auch, daß die ersten Glaubensboten in ihrer unverbrüchlichen Einfalt heftige Gegner der Wissenschaft waren. Schließlich gibt es keine besesseneren Narren als die von christlicher Glaubensinbrunst einmal ganz Erfaßten. Sie verschleudern ihre Habe, ertragen Ungerechtigkeiten, lassen sich hintergehen und machen keinen Unterschied zwischen Freund und Feind; Vergnügungen sind ihnen zuwider, und sie haben ihr Genügen an Hunger, Nachtwachen, Tränen, Mühsal und Schmähungen; sie hassen das Leben und wünschen sich nur den Tod; kurz, sie scheinen jedes Gefühl für gesunden Menschenverstand eingebüßt zu haben, als ob ihr Geist nicht im Körper anwesend wäre. Was ist denn das anders als Unverstand, Verrücktheit? Um so weniger erstaunlich mag es sein, wenn die Apostel „voll süßen Weines" schienen und Paulus dem Richter Festus wie ein Verrückter vorkam.




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