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Erasmus von Rotterdam

Lob der Torheit (21)

Doch zur Sache endlich mit Hilfe guter Geister! Der Prediger Salomo schreibt im ersten Kapitel: „Grenzenlos ist die Zahl der Toren." Damit meint er doch wohl die Menschheit, mit geringen Ausnahmen, die kaum je einer bemerkt hat. Noch sinnreicher bekennt Jeremias im zehnten Kapitel: „Zum Toren wird jedermann durch seine Weisheit." Gott allein billigt er Weisheit zu, während der Menschheit seiner Meinung nach nichts als Torheit bleibt. Wenig vorher heißt es wiederum: „Der Mensch soll sich nichts auf seine Weisheit einbilden." Warum soll sich der Mensch denn nicht seiner Weisheit rühmen, bester Jeremias? Doch nur, sagt er, weil der Mensch keine Weisheit hat. Doch ich komme noch einmal auf Salomo zurück.
Mit seinem Ausspruch „Eitelkeit der Eitelkeiten, alles ist eitel" hat er gewiß nichts anderes sagen wollen, als wenn wir etwa sagen, das menschliche Leben sei nur eine Schaustellung der Torheit. Er bestätigt die lobende Anerkennung Ciceros also, der mit vollem Recht preist, was wir eben angeführt haben: „Alles ist voll Torheit." Dann heißt es wieder beim weisen Salomon: „Der Tor ist wetterwendisch wie der Mond, der Weise beständig wie die Sonne." Damit spielt er doch offensichtlich darauf an, daß alle Welt töricht sei und der Name eines Weisen nur Gott gebühre. Wenn man den Mond als Menschennatur deutet, ist die Sonne als Urquell des Lichtes doch Gott. Dazu paßt es auch, wenn Christus im Evangelium bestreitet, daß irgendwer außer Gott gut genannt werden dürfe. Wenn also töricht ist, wer nicht weise ist, und das Gute nach dem Zeugnis der Stoa mit dem Weisen identisch ist, müssen notwendig alle Menschen töricht sein. Salomon sagt im . Kapitel seiner Sprüche: „Torheit ist dem Toren eine Freude." Damit bestätigt er doch klar, daß das Leben ohne Torheit keinen Genuß bietet. Dazu paßt auch das Wort: „Wer Wissen bringt, bringt Schmerz, und ein wacher Sinn bringt viel Ärger." Bezeugt der treffliche Prediger im . Kapitel nicht dasselbe? „Im Herzen der Weisen wohnt Trauer, im Herzen der Toren Frohlocken." Die Weisheit hätte ihm keinen Verdruß gemacht, wenn er uns nicht kennengelernt hätte. Sollte ich euch nicht glaubwürdig genug sein, höret die Worte dessen, der im . Kapitel schrieb: „Ich habe mein Herz dahingege-ben, um Klugheit und Wissen, Irrtümer und Torheit zu erfahren." Man muß wohl erkennen, wie er hier der Torheit am Schluß einen Vorzugsplatz gibt. Salomo schrieb es, und ihr kennt die geistliche Rangfolge, nach der, übrigens wohl ganz im Sinne des Herrenwortes, das eigentlich Bedeutendste an den Schluß rückt. Daß aber die Torheit bedeutender ist als die Weisheit, bestätigt uns Ecclesiasticus — wer er auch sein mag — einwandfrei im . Kapitel.
Bei Herkules, ich will aber seine Worte nicht eher anführen, bis ihr auf meine Einleitung einige passende Worte gesagt habt, wie das bei Platon die Gesprächspartner des Sokrates machen. Was muß man mehr verbergen, was selten und kostbar oder was gewöhnlich und wohlfeil ist? Warum schweigt ihr? Wenn ihr hinter dem Berge haltet, wird das griechische Sprichwort „Den Wasserkrug vor die Türe!" für euch antworten. Rümpft nicht die Nase darüber; denn Aristoteles, der Abgott unserer Meister, führt es an. Würde einer von euch etwa so töricht sein und Edelsteine und Gold offen liegen lassen? Beim Herkules, das möchte ich nicht annehmen. In unergründlichen Verstecken, ja in den geheimsten Winkeln wohlverwahrter Schreine hebt ihr das auf, wertloses Zeug laßt ihr vor aller Augen. Wenn also Wertvolles verborgen und Plunder offen ausgestellt wird, liegt es dann nicht klar auf der Hand, daß die Weisheit, die man nicht unter den Scheffel stellen soll, unbedeutender ist als die Torheit, die man verhehlen soll? Hört jetzt die Worte der Belegstelle selbst: „Es ist besser für den Menschen, die Torheit zu verheimlichen, als die Weisheit zurückzuhalten." Warum sagt denn die Heilige Schrift dem Toren die Demut der Seele nach, während doch der Weise keinen sich gleichstellt? So verstehe ich nämlich, was Salomo im . Kapitel schreibt: „Weil er selbst verrückt ist, hält der Tor draußen alle für töricht." Ist das nicht etwa ein Zeichen unschuldvoller Gesinnung, alle anderen sich gleich zu achten und im Vollgefühl der eigenen Herrlichkeit mit allen die Vorzüge teilen zu wollen. Selbst Salomon schämt sich nicht dieses Namens, wenn er im . Kapitel seiner Sprüche sagt: „Ich bin der größte Narr unter den Männern." Auch Paulus, der große Völkerlehrer, muß notwendig gegenüber den Korinthern den Beinamen eines Toren zugeben: „Ist es die Unverständigkeit, sage ich, ich vermag mehr." Gleichsam als ob es schimpflich sei, an Torheit übertroffen zu werden!
Doch allmählich wollen mir wohl einige Griechlein ans Zeug, die die gesamte moderne Theologenschaft vor den Kopf stoßen und alle anderen umnebeln möchten. Wenn nicht das Alpha, so doch gewiß Beta dieser Herde ist mein Erasmus, den ich ehrenhalber öfters erwähne. O reichlich närrische und der Torheit wahrhaft angemessene Auslegung, werden sie sagen! Der Sinn des Apostels geht andere Wege als deine Hirngespinste. Er will mit den angeführten Worten nicht sagen, daß er für törichter gehalten werden möchte als alle anderen. Wenn er nämlich gesagt hätte: „Sie sind Diener Christi, ich aber auch", hätte er sich gleichsam gebrüstet und den anderen darin gleichgestellt; verbessernd setzt er hinzu „ich vermag mehr", in dem Bewußtsein, daß er den übrigen Aposteln im Dienst des Evangeliums nicht nur gleich, sondern sogar zu höherem Dienst berufen sei. Um das zu bekräftigen und doch nicht überheblich zu erscheinen, schützt er Torheit vor. Schlichter ausgedrückt: Er habe wohl gewußt, daß es ein Vorrecht der Toren sei, die Wahrheit zu sagen, ohne Anstoß zu erregen. Was Paulus bei diesen Worten gedacht hat, überlasse ich ihren eigenen Disputationen. Ich halte es lieber mit den großen, handfesten und allgemein anerkannten Theologen, mit denen ein großer Teil der gelehrten Welt beim Zeus lieber irren als mit jenen dreizüngigen Kennern des Hebräischen, Griechischen und Lateinischen das rechte Verständnis gewinnen will.
Keiner von ihnen würde auch die Griechlein für etwas anderes als Schwätzer halten, zumal ein gepriesener Theologe — seinen Namen will ich klüglich unterdrücken, damit unsere Schwätzer nicht gleich auf ihn die griechische Stichelei von dem Esel und der Lyra ausmünzen — bei der meisterlich-theologischen Auslegung mit dieser Stelle („Wie ich als weniger Weiser spreche; ich vermag mehr") ein neues Kapitel beginnt und, was er ohne höchste Dialektik nicht gekonnt hätte, eine neue Einteilung bringt und dann so erklärt (ich bringe seine Deutung wörtlich, nicht nur dem Inhalt nach): „Wie ich als weniger Weiser spreche" heißt: Wenn ich euch närrisch vorkomme, indem ich mich mit den Pseudoaposteln gleichsetze, werde ich euch noch weniger weise erscheinen, wenn ich mich über sie stelle. Trotzdem kommt derselbe Theologe gleich hinterher, als ob er sein eigenes Wort vergessen hätte, auf einen ganz anderen Zusammenhang.




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