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Originallink: http://www.pinselpark.org/philosophie/e/erasmus/torheit/torheit_01.html


 

Erasmus von Rotterdam

Lob der Torheit (22)

Doch wozu halte ich mich ängstlich an ein einziges Beispiel? Ist es doch das öffentliche Recht der Theologen, den Himmel, das heißt die Heilige Schrift, wie ein Fell zu dehnen und zu spannen. So widerstreiten sich nach dem Zeugnis des Fünfsprachenkenners Hieronymus bei Paulus die Worte der Heiligen Schrift; denn als er in Athen die Altarinschrift gesehen hatte, machte er sie zu einem Beweis des christlichen Glaubens, indem er die unpassenden Worte überging und nur die letzten aufgriff, die da hießen: „Dem unbekannten Gott". Doch auch diese änderte er noch ein wenig. Die vollständige Inschrift hieß nämlich: „Den Göttern Asiens, Europas und Afrikas; den unbekannten und ausländischen Gottheiten!" Nach seinem Vorbild greifen die Theologen hier und dort vier oder fünf Worte auf, entstellen sie je nach Bedarf und machen sie sich mundgerecht, möglichst gerade die vorhergehenden oder folgenden, die für die Sache belanglos oder gar sinnwidrig sind. Das machen sie mit so erfolgreicher Dreistigkeit, daß manchmal sogar die Theologen von den Juristen darum beneidet werden. Wer sollte ihnen auch noch das Wasser reichen können, nachdem jener große — beinahe wäre mir der Name entschlüpft; doch ich fürchte wieder das griechische Sprichwort von dem Esel und der Lyra — aus den Worten des Lukas einen Sinn erpreßt, der zum Geiste Christi paßt wie Feuer zum Wasser. In einem Augenblick der höchsten Gefahr nämlich, wenn sich gewöhnlich die Schutzbedürftigen an ihre Patrone halten und nach Kräften mitstreiten, fragte Christus in der Absicht, jedes Vertrauen auf solche Hilfen aus dem Herzen der Seinen zu entfernen, die Jünger, ob ihnen je etwas gefehlt hätte, wo er sie doch so ohne jede Wegzehrung ausgesandt hatte, daß sie nicht einmal mit Schuhen gegen Dornen und Steine geschützt waren und nichts zum Leben hatten. Auf ihre Erklärung, daß nie etwas gefehlt habe, sagte er weiter: „Wer aber jetzt ein Bündel hat, soll es aufnehmen, wer einen Ranzen hat, desgleichen, und wer nichts hat, soll sein Gewand versetzen und ein Schwert kaufen."
Da nun die ganze Lehre Christi auf Sanftmut, Gelassenheit und Unbekümmertheit im Irdischen eingestellt ist, erkennt man doch gleich den Sinn dieser Stelle. Er möchte seine Sendboten noch mehr entwaffnen, daß sie nicht nur Schuhe und Ranzen mißachten, sondern ihre Kleider auch abwerfen, bloß und völlig unbeschwert an ihre evangelische Sendung herangehen und sich nichts anderes verschaffen als ein Schwert; nicht das Schwert, mit dem Wegelagerer und Mörder wüten, sondern das Schwert des Geistes, das bis in die tiefsten Falten des Herzens dringt und alle Leidenschaften mit einem Streich so beseitigt, daß ihnen nichts anderes am Herzen liegt als Frömmigkeit. Jetzt seht aber bitte auch, wie nun jener gepriesene Theologe die Worte verdreht: Das Schwert erklärt er als die Abwehr der Verfolgung, das Bündel als ausreichenden Verpflegungsvorrat, gleichsam als ob Christus auf einmal seinen Sinn gewandelt hätte und seine frühere Lehre widerriefe, weil er seine Missionare in unzulänglicher Ausrüstung weggeschickt hätte. Er legt es also aus, als ob Christus sein Wort von der Seligkeit unter Vorwürfen, Schmähungen und Martern, sein Verbot des Widerstands gegen das Übel und die Seligpreisung der Sanftmütigen, nicht der Trotzigen, vergessen hätte oder nicht mehr wüßte, daß er sie auf das Beispiel der Sperlinge und Lilien verwies.
Jetzt hätte er auf einmal für ihre Sendung das Schwert so notwendig erachtet, daß sie dafür das Gewand hingeben müßten, jetzt sollten sie auf seine Weisung hin auf einmal lieber nackt als ungerüstet ausgehen. Wie er in dem Wort Schwert alles enthalten glaubt, was zum Widerstand gegen die Gewalt dient, so begreift er unter dem Wort „Geldbörse" alles, was zum Lebensunterhalt gehört. So führt denn der Dolmetsch des göttlichen Geistes die Apostel wohlausgerüstet mit Lanzen, Wurfmaschinen, Schleudern und Mörsern hinaus zur Predigt des Gekreuzigten.
Er bepackt sie mit Schatullen, Lederkoffern und Bündeln, damit sie jederzeit einkehren und gut frühstücken können. Es macht ihm gar nichts aus, das Schwert, das er gerade noch so teuer hatte kaufen lassen, dann wieder mit eindringlichen Worten verbergen zu heißen. Es wäre doch unerhört, daß die Apostel keine Schwerter und Schilde gegen die Gewalt der Heiden gebraucht hätten oder überhaupt gebrauchen würden, wenn Christus es so gemeint hätte, wie dieser hier es auslegt. Es gibt einen ändern, den ich aus Scheu nicht nenne, der aber keineswegs unbekannt, ist. Aus den Zelten, die Habakuk erwähnt („Die Zelte des Landes Madian werden verwirrt werden"), hätte er die Haut des geschundenen Bartholomäus machen mögen. Ich selbst wohnte kürzlich einer theologischen Disputation bei (was ich häufig tue). Als dort einer haargenau die Stelle der Schrift wissen wollte, die befehle, daß man die Ketzer mehr mit Feuer als durch Auseinandersetzung bezwingen müsse, erhob sich ein würdiger Greis, der durch seine finstere Miene gebührend als Theologe ausgezeichnet war, und erwiderte mit großem Unwillen, dieses Gesetz habe der Apostel Paulus erlassen, der gesagt hätte: „Weise den Ketzer einige male zurecht und halte ihn dir dann vom Leibe!" Als er die Worte mehrmals wiederholte und die meisten sich über sein Gebaren wunderten, erläuterte er schließlich, man halte ihn sich vom Leibe, indem man ihn ins Jenseits befördere. Einige fühlten sich belustigt, es waren aber auch viele da, denen diese Erklärung höchst theologisch erschien. Als immer noch einige widersprachen, haute er den Gordischen Knoten glatt durch.
Der Fall liegt so, sagte er: Es steht geschrieben, du sollst einen Übeltäter nicht leben lassen, jeder Ketzer ist ein Übeltäter, also... Alle Anwesenden bewunderten den Geist des Menschen, und bieder fügte man sich seinem Spruch. Keinem kam es in den Sinn, daß jenes Gebot sich auf Weissager, Zauberer und Magier bezieht, sonst müßte man ja Hurerei und Trunksucht auch mit dem Tode bestrafen. Doch es ist dumm von mir, aufzählen zu wollen, was so ins Ungemessene geht, daß weder die Bände des Chrysipp noch des Didymus alles aufnehmen könnten.




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