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Erasmus von Rotterdam

Lob der Torheit (12)

Bedarf es noch eines Wortes über die Professoren der Künste und Wissenschaften? Deren Eigenliebe ist ja allgemein so stark, daß man eher einen findet, der sein väterliches Gut als seinen Anspruch auf Geist aufgibt. Besonders bei den Schauspielern, Sängern, Rednern wiegt jeder sich um so mehr, in Selbstgefälligkeit, brüstet sich um so stärker und macht sich um so breiter, je dümmer er ist. Jeder Bottich findet seinen passenden Kohl, und je läppischer jemand ist, um so mehr Bewunderer sucht er zu werben, wie ja das dümmste Zeug immer den größten Anklang findet, da die Mehrzahl der Menschen, wie wir schon sagten, der Torheit verschworen ist. Da also das persönliche Behagen und die Bewunderung der Masse mit zunehmender Dummheit steigt, wer möchte da echte Bildung vorziehen, die viel kostet, Kummer und Angst verursacht und schließlich nur bei wenigen Anerkennung findet?
Man kann sogar feststellen, daß die Natur wie den einzelnen Menschen so auch den einzelnen Nationen, ja fast jedem Staat eine Art kollektiver Eigenliebe mitgegeben hat. Daher kommt es, daß die Engländer Gestalt, Musik und leckere Mahlzeiten vor allem als ihre Eigentümlichkeiten betrachten. Die Schotten tun sich etwas zugute auf Vornehmheit, aristokratische Verbindungen und scharfsinnige Spitzfindigkeiten. Die Franzosen nehmen die Höflichkeit für sich in Anspruch, und in Paris rühmt man sich mit anmaßlicher Eigenwilligkeit fast ausschließlich der theologischen Wissenschaft. Die Italiener paradieren mit den schönen Künsten und der Beredsamkeit und schmeicheln sich alle mit der Überzeugung, allein auf Erden von der Barbarei verschont zu sein. In diesem Glücksgefühl haben es die Römer am weitesten gebracht, die heute noch wohlig von ihrem alten Rom träumen. Die Venezianer sonnen sich im Bewußtsein ihrer Erlauchtheit. Als Begründer der Wissenschaften gehen die Griechen mit den Namen ihrer gepriesenen Vorzeitheroen hausieren. Die Türken, und was sonst noch in der Barbarenwelt herumkreucht, beanspruchen den Vorzug der Gläubigkeit für sich und lachen über die Abergläubigkeit der Christenvölker. Mit noch größerer Verbissenheit erwarten die Juden bis auf diesen Tag inständig ihren Messias und halten bis heute nachdrücklich an ihrem Moses fest. Die Spanier gönnen den Kriegsruhm keinem ändern. Die Deutschen sind stolz auf ihren hohen Wuchs und ihr magisches Wissen. Doch ich will mich nicht bei Einzelheiten aufhalten. Ihr seht ja, wieviel Vergnügen die Eigenliebe überall bringt, dem einzelnen Menschen wie der Menschheit insgesamt.
Ihre Schwester Schmeichelei kommt der Eigenliebe fast gleich. Ist doch die Eigenliebe nichts anderes als die Liebkosung der eigenen Person. Das gleiche Verhalten gegen einen ändern bezeichnet man als Schmeichelei. Heutzutage gilt Schmeichelei als schamlos, doch nur bei solchen, die sich mehr von den Bezeichnungen als von der Sache an sich leiten lassen. Sie meinen, daß Schmeichelei kein Vertrauensverhältnis begründen könne. Daß es sich ganz anders verhält, könnten sie leicht am Beispiel der stummen Kreatur lernen. Wer neigt mehr zur Schmeichelei als ein Hund? Gibt es aber ein treueres Tier? Ist das Eichhörnchen nicht ein rechtes Schmeichelkätzchen? Wie unvergleichlich zutraulich ist aber dieses Tier gleichzeitig gegenüber dem Menschen! Vielleicht passen aber auch die Ungebärdigkeit des Löwen, der Blutdurst des Tigers und die Verschlagenheit des Panthers besser zum Leben des Menschen. Es gibt nämlich eine gefährliche Art Schmeichelei, mit der unzuverlässige Spötter arme Kerle ins Unglück bringen. Meine Schmeichelei aber kommt aus innerer Güte und Treuherzigkeit und verdient mehr den Namen der Tugend, als was man ihr gegenüber hervorhebt, die Sprödigkeit und der ungebärdige und nach Horaz' Worten abstoßende Eigensinn. Sie kräftigt einen niedergeschlagenen Sinn und tröstet die Betrübten, muntert die Müden auf, macht die Stumpfsinnigen lebendig, erquickt die Kranken, besänftigt die Aufbrausenden, bringt und hält Verliebte zusammen. Sie steigert den Bildungstrieb der Jugend, erheitert das Alter und erteilt den Regierenden unter der Verkleidung des Lobes Mahnung und Lehren, ohne anzustoßen. Im ganzen macht sie jeden sich selbst angenehmer und wertvoller, was immerhin ein beträchtlicher Teil des Glückes ist. Was ist denn auch gefälliger, als daß sich nach dem Sprichwort ein Esel am ändern schabt? Fast möchte ich daher sagen, daß ihr bei der hochgelobten Redekunst das meiste zukomme, noch mehr bei der Medizin, am meisten aber bei der Dichtung, und daß sie schließlich Süßigkeit und Würze des gesamten menschlichen Zusammenlebens ist.
Doch sich täuschen zu lassen gilt nach landläufiger Auffassung als elend. Ich behaupte dagegen, daß es das größte Unglück ist, über alle Täuschung erhaben zu sein. Die das Glück des Menschen im Wesen der Dinge selbst suchen, sind wirklich nicht recht gescheit. Es kommt nur auf die Auffassungen an. Die menschlichen Verhältnisse sind nämlich so dunkel und verworren, daß klare Einsicht gar nicht möglich ist. Das haben schon meine Akademiker, die unter den Philosophen am wenigsten überheblich sind, richtig erkannt. Wenn aber eine klare Erkenntnis möglich ist, stört sie meist die Behaglichkeit des Lebens. Der Geist des Menschen ist nun einmal so angelegt, daß der Schein ihn mehr fesselt als die Wahrheit. Wer den handgreiflichen Beweis dafür haben will, braucht sich in den Kirchen nur die Predigten anzuhören. Sobald es dort um einen ernsten Gegenstand geht, schläft und gähnt alles voll Widerwillen. Wenn aber der Schreier — Verzeihung, ich wollte sagen der Redner — nach beliebtem Brauch auf eine abgedroschene Anekdote kommt, wacht man auf und hört mit offenem Munde zu. Ein von Wundergeschichten und Legenden umwobener Heiliger, wie zum Beispiel Georg, Christophorus oder Barbara, wird auch eifriger verehrt als Petrus, Paulus oder selbst Christus. Doch das gehört nicht hierher. Wieviel weniger kostspielig ist der Weg zu diesem Glück?
Dagegen dringt man nur in seltenen Fällen und unter großer Mühe in das Wesen auch der einfachsten Dinge ein, wie zum Beispiel der Grammatik. Die Einbildung kostet fast gar nichts und führt doch zu gleichem, wenn nicht zu reicherem Glück. Wenn einer gern stinkenden Fisch ißt, den der andere nicht einmal riechen mag, und dabei Ambrosia zu schmecken meint, bitte, was schadet das dem Glück? Wenn man dagegen beim Sterlet ein Gefühl des Ekels nicht loswird, was bedeutet er dann für den behaglichen Lebensgenuß? Bedeutet eine auffallend häßliche Frau dem Manne, der in ihr eine Rivalin der Venus selbst sieht, nicht ebensoviel wie eine tatsächlich hübsche? Ein anderer bewundert andächtig eine Tafel mit einem üblen Geschmiere aus Mennige und Lehm und ist überzeugt, daß es ein Gemälde des Apelles oder Zeuxis ist. Ist er nicht glücklicher als der Kunstfreund, der unter großen Kosten das Werk jener Künstler erworben und an dem Schaustück vielleicht weniger Vergnügen hat?
Ich kenne einen Namensvetter, der seiner jungen Braut einige unechte Steine schenkte und ihr in seiner neckischen Art einredete, es seien nicht nur echte, sondern sogar Unica von unschätzbarem Wert. Bitte, was bedeutete es für das Mädchen, daß es Herz und Augen an dem Glas nicht weniger behaglich weidete und den Tand wie einen ausgezeichneten Schatz aufhob und hütete? Der Gatte hatte die Kosten gespart und seinen Nutzen von dem Irrtum der Frau. Dabei war sie ihm nicht weniger verbunden, als wenn er große Ausgaben für ein Geschenk gemacht hätte. Welchen Unterschied seht ihr denn zwischen den Höhlenbewohnern Platons, die die Vielfalt der Schatten und Bilder bewundern, dabei wunschlos glücklich sind und mit sich selbst im reinen, und dem Weisen, der die Höhle verläßt und das Wesen der Dinge erblickt? Wenn der Mycillus des Lukian" seinen goldenen Reichtumstraum immerfort hätte träumen dürfen, hätte nichts seine Gedanken auf ein anderes Glück gerichtet. Entweder besteht kein Unterschied, oder wenn es einen Unterschied gibt, ist die Lage der Toren sogar besser.



 




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