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Originallink: http://www.pinselpark.org/philosophie/e/erasmus/torheit/torheit_01.html


 

Erasmus von Rotterdam

Lob der Torheit (18)

Es ist nämlich längst an der Zeit, die Könige und Fürsten ein wenig unter die Lupe zu nehmen, deren äußere Erscheinung immerhin echt und edel ist, wie es sich für Adlige geziemt. Hätten sie aber nur für eine halbe Unze Vernunft in ihrem Innern, würde ihr Leben an Trübsal und Unerfreulichkeit einzig dastehen. Keiner wird sich unter Meineid und Meuchelmord eine Herrschaft gründen, der sich über die ungeheure Belastung eines rechten Regenten klargeworden ist. Wer das Steuer des Staates in die Hand nimmt, darf keinen privaten Geschäften nachgehen und nur das öffentliche Wohl im Auge haben. Von den Gesetzen, die er selbst erläßt und vollstreckt, darf er nicht um Fingerbreite abweichen. In der Sauberkeit der Amtsführung muß er für alle Behörden vorbildlich sein. Er muß sich allein im Blickpunkt aller fühlen und wie ein heilbringendes Gestirn mit seiner sittlichen Unbescholtenheit der menschlichen Gesellschaft voranleuchten oder aber wie ein unheilkündender Komet krasses Verderben bringen. Gegen fremde Fehler darf er nicht allzu empfindlich, aber auch nicht allzu großzügig sein.
Die Stellung des Fürsten bringt es mit sich, daß der geringste Verstoß gegen die Ehre sich gleich wie die Pest in das Leben vieler Menschen einfrißt. Wieviel Gefahren für die Tugend bringt der Reichtum fürstlichen Daseins mit sich! Galanterie, Freizügigkeit, Schmeichelei, Verschwendung! Um so peinlicher und wachsamer muß der Fürst sich vor leichtfertiger Pflichtvergessenheit hüten. Hinterhältigkeiten, Haß und andere Gefahren und Befürchtungen will ich übergehen, nur noch darauf hinweisen, daß jener eigentliche König über seinem Haupte schwebt und bald schon von ihm für das geringste Vergehen Rechenschaft fordern wird, und zwar um so strenger, je bedeutender seine Herrschaft war. Wenn der Fürst nun dies und vieles dergleichen bei sich überlegen würde — er würde es überlegen, wenn er weise wäre —, könnte er meines Erachtens weder ruhig schlafen noch essen. Unter meinem Einfluß überlassen sie alle diese Sorgen den Göttern, machen sich ein behagliches Leben und schenken nur Menschen Gehör, die angenehme Dinge zu sagen wissen, damit sie von Aufregung verschont bleiben. Sie glauben die Rolle eines Fürsten gut zu spielen, wenn sie ständig jagen, schmucke Pferde unterhalten, Ämter und Kommandostellen mit Vorteil verkaufen und täglich auf neue Wege sinnen, um die Bürger zu schröpfen und die Staatseinkünfte in die eigene Tasche zu leiten, wobei sie allerdings um einen gerissenen Vorwand nicht verlegen sind, damit auch die gröbste Ungerechtigkeit noch unter dem Schein des Rechtes auftritt. Sie geben sich sogar noch Mühe, den Sinn des Volkes mit etwas Schmeichelei zu gewinnen.
Stellt euch nun einen Menschen vor, wie sie bisweilen vorkommen: ohne Kenntnis der Gesetze, dem öffentlichen Wohl geradezu verfeindet, nur auf den persönlichen Nutzen bedacht, vergnügungssüchtig, bildungsfeindlich, Feind der Freiheit und Wahrheit, auf nichts weniger bedacht als auf das Staatswohl, alles vielmehr nach seiner Gier und seinem Nutzen messend! Hängt ihm dann eine goldene Kette um, die den innigen Zusammenhang aller Tugenden andeutet, gebt ihm eine edelsteingeschmückte Krone, die ihn daran erinnern soll, daß er sich durch heroische Tugenden vor allen anderen auszeichnen müsse, dann das Zepter, das Symbol der Gerechtigkeit und eines ganz unbestechlichen Sinnes, und schließlich den Purpur, das äußere Zeichen unübertrefflicher Liebe zum Staat! Wenn der Fürst diese Insignien mit seinem Leben vergleicht, möchte er sich seines Aufzuges wohl gründlich schämen und befürchten, ein naseweiser Beobachter könne das ganze tragische Gehabe auf witzige Art der Lächerlichkeit preisgeben.
Was soll ich noch von den hochgeborenen Höflingen sagen? An Unterwürfigkeit, Knechtseligkeit, Witzlosigkeit und Verworfenheit tut es ihnen niemand zuvor, und doch gebärden sie sich als die Herren der Schöpfung. In einer Hinsicht sind sie allerdings ungewöhnlich bescheiden: sie begnügen sich, ihren Körper mit Gold, Edelsteinen, Purpur und sonstigen Tugend-und Weisheitssymbolen auszustaffieren, den Eifer für die Sache selbst überlassen sie anderen. Sie schätzen sich maßlos glücklich, weil sie den König „Herr" heißen dürfen, weil sie mit drei Worten zu grüßen gelernt haben, weil sie die höfischen Anredeformen „Erlaucht", „Herrschaft", „Herrlichkeit" nur so wie Wasser aus dem Munde fließen lassen, weil sie kehle Schamröte mehr kennen und munter schmeicheln.
Das sind nämlich die geziemenden Künste eines wahrhaft vornehmen Höflings. Wollte man ihre ganze Lebensweise näher betrachten, würde man waschechte Phäaken, Freier der Penelope, finden; den weiteren Verlauf des Gedichtes, das Echo euch besser wiedergeben könnte als ich, kennt ihr ja. Man schläft, bis die Sonne hoch am Himmel steht. Dann steht ein dienstwilliger Geistlicher am Bett, der ihnen die Messe liest, fast ohne daß sie aufzustehen brauchen. Gleich geht es zum Frühstück, das kaum zu Ende ist, wenn das Mittagessen schon ruft. Hinterher gibt es Würfelspiele, Brettspiele, Tändelei und sonstigen Schnickschnack. Zwischendurch wird noch hin und wieder gevespert. Dann kommt das Abendessen und nachher das Bankett, und, bei Zeus, nicht nur eines! So verstreichen die Stunden, Tage, Monate, Jahre und Zeitalter ohne Langeweile.
Ich selbst gehe manchmal reicher gemästet weg, wenn ich ihrem großsprecherischen Gebaren zugesehen habe, wenn unter den Damen eine jede sich den Göttern um so näher glaubt, je länger sie die Schleppe hinter sich her zieht, wenn ein Vornehmer den ändern von seinem Platz vertreibt, um Zeus (dem -Fürsten) näher zu sein, wenn jeder sich in einer möglichst schweren Halskette gefällt, um neben dem Reichtum auch seine Kraft zu zeigen.






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