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Originallink: http://www.pinselpark.org/philosophie/e/erasmus/torheit/torheit_01.html


 

Erasmus von Rotterdam

Lob der Torheit (14)

Ich will mich zu jenen wenden, die in der Welt die Weisheit vorstellen und den sogenannten goldenen Weisheitszweig des Aeneas für sich in Anspruch nehmen. Die Grammatiker sind die ersten darunter. Kein Stand käme ihnen an Jämmerlichkeit, Elend und Unbeliebtheit bei den Göttern gleich, hätte ich seine Beschwerden und sein maßloses Unglück nicht mit artigem Wahn gemildert. Sie sind nämlich nicht nur nach dem griechischen Epigramm fünf Rachegottheiten verhaftet, sondern sogar sechshundert: Immer sind sie hungrig und ungepflegt in ihren Schulen — was sage ich? In ihren Schulen? In ihren Denkerwüsten müßte ich sagen, in ihren Tretmühlen und Folterkammern —, inmitten des Kinderhaufens, altern vor der Zeit über ihrer Arbeit, werden taub vor Geschrei und siechen dahin vor Gestank und Unrat. Mein Einfluß allein macht es, daß sie sich wie auf der Menschheit Höhen erscheinen. So sehr gefallen sie sich, wenn sie die ängstliche Schar mit drohender Miene und eindrucksvoller Stimme einschüchtern, mit Stöcken, Ruten und Riemen auf die Beklagenswerten losdreschen und unverblümt ihr anmaßendes Gehabe zur Schau tragen, ganz wie der Kumanische Esel. Dabei kommen sie sich in all dem Schmutz wie in blitzblanker Umgebung vor, der Unrat hat für sie den Duft der Majoransalbe, und die üble Dienstknechtschaft wird so sehr als Herrschaft empfunden, daß sie ihre Tyrannis nicht mit der Gewalt des Phalaris oder Dionysius vertauschen möchten.
Der Stolz auf wissenschaftliche Originalität macht aber ihr eigentliches Glück aus. Was die meisten auch den Kindern an tollen Ausgeburten ihrer Phantasie einhämmern, jeder glaubt mit Verachtung auf Palämon und Donat herabschauen zu dürfen. Ich weiß gar nicht, mit welchen Vorspiegelungen sie merkwürdigerweise bei dummen Müttern und beschränkten Vätern den Eindruck hervorrufen, der ihrer eigenen Meinung von sich selbst entspricht. Man vergesse auch nicht folgendes Vergnügen: Hat einer die Mutter des Anchises oder ein dunkles Wort in einem vergilbten Pergament gefunden wie bubsequa für Hirt oder bovinator für Krakeeler oder manticulator für Beutelschneider oder gräbt einer Steintrümmer mit Inschriftresten aus, dann gibt es gleich maßlosen Jubel und Triumphgeschrei. Man gebärdet sich, als ob man Afrika unterworfen oder Babylon erobert hätte. Wie ist es aber, wenn sie ihre unbeschreiblich dürren und witzlosen Verse vorführen und dabei gar noch Bewunderung ernten? Dann glauben sie geradezu, der Genius Vergils sei auf sie herabgekommen.
Das köstlichste Vergnügen bereiten sie aber, wenn sie sich gegenseitig lobhudeln und beweihräuchern. Ist einem ändern ein kleiner Verstoß unterlaufen und zufällig von Aufmerksameren entdeckt worden, beim Herkules, welche Verwirrung, welcher Streit, welches Geschimpfe und welche Beleidigungen vernimmt man dann. Ich will mir die Ungnade aller Sprachlehrer zuziehen, wenn ich lüge. Ich kenne einen sechzigjährigen Gelehrten, der Griechisch, Latein, Mathematik, Philosophie und Medizin hervorragend beherrschte, sich um nichts kümmerte und sich über zwanzig Jahre mit der Grammatik abmühte und herumquälte. Er begehrte nichts als das Glück, so lange leben zu dürfen, bis er eine feste Ordnung in die acht Redeteile gebracht hätte, was die Griechen und Lateiner bis dahin nicht völlig vermocht hätten. Man ist sogar bereit, einen Krieg zu entfachen, wenn jemand die Konjunktionen zur Wortart der Adverbien zählen will. Deshalb gibt es ebenso viele grammatische Systeme wie Grammatiker, ja eigentlich noch mehr; denn mein Aldus allein hat mehr als fünfmal eine Grammatik herausgegeben. Keine läßt der Sprachlehrer aus, so barbarisch und mühsam auch ihre Diktion sein mag. Jede wird weidlich gewälzt und beschnüffelt, und jeder wird für seine törichten Erzeugnisse auf diesem Gebiet beneidet. Immer ist man in Furcht, es möchte einer den Ruhm wegschnappen und die Arbeit so vieler Jahre möchte vergebens sein. Wollt ihr das alles Wahn und Torheit nennen? Mir ist es eigentlich gleichgültig, nur müßt ihr zugeben, daß dieses kümmerlichste aller Lebewesen mir allein sein Glücksgefühl verdankt und deshalb allein nicht mit dem Perserkönig tauschen möchte.
Die Dichter sind weniger in meiner Schuld, obwohl auch sie offenbar zu meinen Leuten zählen. Denn als das sprichwörtlich „freie Geschlecht" sind sie nur darauf aus, den Ohren der Toren mit barem Unfug und lächerlichen Histörchen zu schmeicheln. Es ist erstaunlich, wie sehr sie auf dieses Zeug bauen. Unsterblichkeit und göttergleiches Leben versprechen sie sich und anderen davon. Eigenliebe und Schmeichelei sind diesem Haufen vor allem eigentümlich. Darin sind sie immer unverkennbar und unwandelbar in der menschlichen Gesellschaft.
Obwohl man die Redner nicht säuberlich von den Philosophen scheiden kann, gehören sie doch zu unserer Gemeinde. Vieles spricht dafür, besonders aber, daß sie außer manchen anderen Spielereien oft und sorgfältig über das Wesen des Witzes geschrieben haben. So zählt der Redner die Torheit selbst unter die Gattung der launigen Einfalle, zum Beispiel der Verfasser der Redekunst für Herennius wie auch Quintilian, der Wortführer dieses Standes, in seinem ausgelassenen Kapitel über das Lachen, das weitschweifiger ist als die Ilias selbst. Sie messen der Torheit solchen Wert bei, daß man unter Lachen häufig herausbringen könne, was durch keinen sachlichen Beweis klarzulegen ist. Es wird wohl keiner bestreiten, daß es zu den Wirkungen der Torheit gehört, wenn man mit scherzhaften Reden bewußt Gelächter hervorruft.
Mit solchem Mehl sind gleichfalls die Schriftsteller bestäubt, die sich mit Büchern die Unsterblichkeit sichern wollen. Wenn auch alle in meinem Solde stehen, dann doch ganz besonders, die baren Unsinn aufs Papier kritzeln. Wer sich nämlich im Schreiben an den Geschmack und das Urteil weniger gebildeter Männer hält und weder die Meinung des Persius noch des Laelius in den Wind schlägt, erscheint mir eher erbärmlich als glücklich, weil er sich ständig selbst quälen muß. Er macht Zusätze, ändert ab, streicht, ergänzt, erneuert, prägt um, erklärt und ist nach neunjährigem Brüten mit seinem eigenen Werk nicht zufrieden. Seinen trügerischen Lohn sucht er in der Anerkennung, die er aber nur bei wenigen findet und die ihn teuer genug zu stehen kommt. Nachtwachen, Schlaflosigkeit — wo doch der Schlaf von allem das Angenehmste ist —, Schweiß und Qualen gilt es auf sich zu nehmen. Dazu kommt die Zerrüttung der Gesundheit, die äußere Verkümmerung, Triefäugigkeit oder gar Blindheit, Armut, Neid, Verzicht auf Vergnügen, vorzeitiges Altern, früher Tod und was dergleichen „Köstlichkeiten" sind. Für solche Übel glaubt der Weise sich entschädigt, wenn er bei dem einen oder ändern Depp in Gnaden aufgenommen wird. Wieviel besser hat es der Schriftsteller meines Zeichens in seinem Wahn. Ohne große Vorarbeit schreibt er, was ihm gerade einfällt und unter die Feder kommt. Seine Hirngespinste setzt er gleich in Buchstaben um und hat nur wenig Scheu vor dem Druck. Er weiß, daß der gröbste Unfug von den meisten, das heißt von allen Dummen und Ungebildeten anerkannt wird. Was macht es schon aus, daß drei gebildete Männer, die es doch noch gelesen haben, verächtlich die Achsel zucken? Was wiegt schon die Stimme der paar Klugen gegen einen solchen Haufen?
Noch gerissener machen es die Plagiatoren, die den Ruhm fremder Lebensarbeit mit einigen Worten sich selbst zuwenden und sich eine Weile Gewinn davon versprechen, wenn sie auch noch so eindeutig des Plagiats überführt werden. Man muß es gesehen haben, wie sie sich in öffentlicher Anerkennung gefallen und mit dem Finger auf sich weisen lassen: „Das ist der berühmte Mann!" Bei den Buchhändlern stehen sie vorne an, auf jeder Buchseite ein paar fremde Brocken wie Zauberrunen führend. Bei Gott, was ist das denn anderes als ein Spiel mit leeren Worten? Wie wenige erhalten Kenntnis davon, wenn man an die Weite und Größe der Welt denkt? Wieviel weniger noch finden Geschmack daran, wenn man an die Unterschiedlichkeit des Urteils sogar bei den Ungebildeten denkt? Wie oft werden diese leeren Namen nicht einmal erfunden, sondern aus den Werken der Alten übernommen? Da läßt sich etwa einer mit Behagen Telemachus oder Stelenus oder Laertes nennen; dieser hat Freude an dem Namen Polykrates, jener an Trasymachus. Man könnte getrost ein Chamäleon oder einen Kürbis als Buchtitel wählen oder wie die Philosophen ein Alpha oder Beta. Besonders ergötzlich aber ist es, wenn sie einander mit Briefen, Gedichten und Lobeshymnen beehren, wo sie sich doch gegenseitig an Torheit und Unbildung in nichts nachstehen. Dieser ist für seinen Anbeter dem Kallimachus überlegen, von diesem hält sein Freund mehr als von Cicero, jener scheint ihm weiser als Platon. Bisweilen suchen sie sich einen Rivalen, um im Wettbewerb ihren Ruhm zu mehren. Bei der haltlosen Menge teilen sich gleich die Ansichten, bis schließlich jeder der beiden Wortführer nach erfolgreichem Wettbewerb siegreichen Triumph feiert.
Ü ber solche unzweifelhaften Albernheiten lächelt der Weise, und keiner wird darin etwas anderes sehen wollen. Jedenfalls haben diese Menschen durch mich ein angenehmes Leben und möchten ihre Triumphe keinesfalls mit den Scipionen tauschen. Auch die Gelehrten selbst stehen nicht wenig in meiner Schuld, während sie mit herzlichem Vergnügen darüber lächeln und an der Verrücktheit anderer ihren Genuß finden. Wenn sie sich nicht durch Undankbarkeit auszeichnen wollen, müssen sie das zugeben.




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