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Erasmus von Rotterdam
Lob der Torheit (9)
Bevorzugt sind aber unter all diesen Künsten gerade diejenigen,
die dem Durchschnittsverstand, also der Torheit, zusagen. Theologen können
hungern, Naturphilosophen, können frieren. Astronomen verlacht man,
und Dialektiker mißachtet man. Der Arzt allein nimmt es nach einem
Worte Homers mit vielen anderen auf. Doch je weniger Bildung einer von
diesen hat, je dreister und unüberlegter er verfährt, um so
höher ist sein Ansehen in der vornehmen Welt. Denn die Heilkunde,
zumal wie sie heute von der Mehrzahl ausgeübt wird, ist nichts anderes
als eine Art Liebedienerei, nicht weniger wahrhaftig als die Rhetorik.
Den nächsten Platz beanspruchen die Rechtsverdreher, vielleicht sogar
den ersten; denn die Philosophen — ich will nichts gesagt haben
— machen sich mit großer Einmütigkeit über dieses
von ihnen so genannte Eselsgewerbe lustig. Immerhin kommen mit Hilfe dieser
Esel große und kleine Geschäfte zustande. Sie mehren ihren
Besitz, während der Theologe die Schatztruhen des Göttlichen
ausklaubt und dabei in ständigem Krieg mit Wanzen und Läusen
an Wolfsbohnen herumnagt.
Wie nun die Künste ertragreicher sind, die der Torheit am nächsten
stehen, so bringt doch am meisten ein, was sich von jeder Berührung
mit der Wissenschaft freihalten kann und nur dem Instinkt der Natur gemäß
ist, die uns nirgendwo im Stich läßt, sofern wir nicht die
Zäune unseres Menschenloses übersteigen wollen. Die Natur haßt
Schminke, und was nicht durch Kunst verdorben ist, gelingt viel besser.
Seht ihr denn nicht, wie bei jeder Gattung der übrigen Lebewesen
jene am glücklichsten leben, denen Künste völlig fremd
sind und die nur dem Trieb der Natur folgen. Was ist glücklicher
und wunderbarer als die Bienen? Dabei verfügen sie nicht einmal über
alle äußeren Sinne. Hat die, Architektur beim Hausbau ähnliche
Leistungen aufzuweisen? Welcher Philosoph hat je einen ähnlichen
Staat gegründet? Das Pferd hingegen, das ja in seiner sinnlichen
Beschaffenheit dem Menschen am nächsten kommt und deshalb zum Hausgenossen
des Menschen wurde, mußte so auch am Elend des Menschen teilhaben.
Oft genug müht es sich in Wettkämpfen ab, da es sich einer Niederlage
schämt, muß sich abschlachten lassen, weil es im Kriege nach
triumphalen Ehren trachtet, und darf zugleich mit dem Reiter ins Gras
beißen. Die Kandare will ich gar nicht erst erwähnen, die scharfen
Sporen, den finstern Stall, die Karbatschen, die Stockschläge, die
Fesseln, den Reiter, kurz, das ganze Elend der Knechtschaft, der es sich
freiwillig fügt. Es macht es wie die kriegsgewaltigen Herren und
straft sich selbst, indem es sich gegen den Feind ins Zeug legt. Wieviel
begehrenswerter ist das Leben der Fliegen und kleinen Vögel, die
sich je nach Zeit und Ort dem Trieb der Natur überlassen, soweit
menschliche Hinterlist ihnen das gestattet. Es ist erstaunlich, in welchem
Maße sie diese angeborene Anmut einbüßen, wenn sie im
Käfig sitzen und auf Menschenworte abgerichtet sind. So macht alles,
was die Natur geschaffen hat, mehr Freude als der Flitter der Kunst.
Deshalb kann ich auch den pythagoreischen Hahn nie genug loben, der alles
in einem war, Philosoph, Mann, Weib, König, Privatmann, Fisch, Pferd,
Frosch, ich glaube sogar Schwamm, und doch kein Lebewesen für elender
hielt als den Menschen. Während nämlich alle anderen Wesen sich
in den naturgesetzten Grenzen hielten, habe der Mensch allein versucht,
die Schranken seines Schicksals zu überschreiten. Unter den Menschen
aber gibt er den Einfältigen bei weitem den Vorzug vor den Gelehrten
und Großen. Noch klüger als der „listenreiche Odysseus"
war jener Gryllus, der lieber im Schweinekoben grunzen wollte, statt sich
an Odysseus' Seite so ungezählten Widerwärtigkeiten auszusetzen.
Homer, dieser Vater aller guten Einfalle, scheint ähnlicher Meinung
zu sein. Während er nämlich die Menschen oft elend und mühselig
und Odysseus, sein Urbild eines Weisen, manchmal bedrückt nennt,
braucht er diese Bezeichnung niemals für Paris und Ajax noch für
Achill. Warum sagte er das nun dem Odysseus nach? Weil dieser verschmitzte
Meister immer unter dem Einfluß der Pallas stand, allzu weise war
und kein Ohr mehr hatte für die Stimme der Natur. Wie also unter
den Menschen diejenigen vom Glück keinen Hauch verspüren, die
weise werden wollen, verhalten sich alle doppelt töricht, die als
sterbliche Menschen ihr Los vergessen, nach dem Leben der unsterblichen
Götter trachten und wie Giganten mit dem Kriegsgerät ihrer Künste
der Natur den Kampf ansagen. Die es aber in ihrem Sinn mit der Torheit
des dummen Viehs halten und nie über die Grenzen ihrer Menschlichkeit
hinwegstreben, erscheinen daher am wenigsten vom Jammer berührt.
Versuchen wir nun, dies nach Möglichkeit an einem handgreiflichen
Beispiel und nicht mit stoischen Schlüssen zu beweisen. Bei den unsterblichen
Göttern, gibt es denn einen glücklicheren Menschenschlag als
die im Volksmunde so genannten Narren, Dummköpfe, Blöden und
Albernen, Bezeichnungen, die ich sogar sehr hübsch finde? Auf den
ersten Blick erscheint der Sachverhalt vielleicht töricht und sinnlos
und ist doch auf eine einzigartige Weise wahr. Zunächst einmal kennen
sie keine Todesfurcht, die doch, beim Zeus, kein unbedeutendes Übel
ist. Von Gewissensqualen sind sie frei und lassen sich durch keinerlei
Ammenmärchen über die Unterwelt einschüchtern. Gesichter
und Totengeister können auf sie keinen Eindruck machen, drohende
Verhängnisse quälen sie nicht, und die Hoffnung auf künftiges
Glück regt sie nicht auf. Alles in allem zermartern sie sich nicht
mit tausend Sorgen, die dieses Leben beschweren. Sie kennen keine Scham,
keine Scheu, keinen Ehrgeiz, keinen Neid und keine Liebe. Sobald sie schließlich
noch näher an die Unwissenheit des stumpfsinnigen Getiers herangekommen
sind, können sie, wie die Theologen lehren, nicht einmal sündigen.
Hier sollst du, törichter Weiser, mir einmal aufzählen, von
welchen Aufregungen Tag und Nacht dein Geist geplagt ist. Häufe alle
Beschwerlichkeiten deines Lebens aufeinander und dann mußt du zuletzt
erkennen, welche Widerwärtigkeiten ich meinen Blöden erspart
habe. Rechne dazu, daß sie selbst nicht nur ständig froh sind,
scherzen, singen und lachen, sondern auch, wo sie nur auftauchen, Vergnügen,
Scherz, Spiel und Lachen verbreiten. Sie scheinen von der Gnade der Götter
eigens dazu bestimmt, die Trübseligkeit des menschlichen Daseins
zu verklären.
Daher kommt es, daß sie allen gleich herzlich begegnen, alle in
gleicher Weise mit sorgender Liebe umfangen und in Unglücksfällen
unterstützen, während doch sonst die einzelnen sehr unterschiedlich
gegeneinander eingestellt sind. Ja, gegen Beleidigungen und Ungerechtigkeiten
sind sie unempfindlich. Niemand neigt ihnen gegenüber zu Gehässigkeiten,
sogar wilde Tiere lassen diese Menschen ungeschoren, als ob sie ein natürliches
Gespür für Harmlosigkeit hätten. Sie sind den Göttern
gewissermaßen heilig, vor allen Dingen mir, weshalb ihnen mit gutem
Recht alle diese Ehre erweisen. Den höchsten Herrschern bereiten
sie doch solches Vergnügen, daß manche ohne ihre Gesellschaft
weder speisen noch auftreten, noch überhaupt eine Stunde verbringen.
Sie ziehen diese albernen Kerle ihren finstern Philosophen, die sie doch
auch mit Gunst und Ehren verwöhnen, erheblich vor. Warum sie jene
verhätscheln, liegt auf der Hand und darf weiter gar nicht verwunderlich
erscheinen, da die Weisen den Fürsten gewöhnlich nur trübe
Erfahrungen vermitteln und im Vertrauen auf die Kraft ihrer Lehre oft
genug keine Bedenken tragen, ein zartes Ohr mit beißender Wahrheit
zu verletzen. Die Narren bieten aber nur das, was ihnen einzig am Herzen
liegt, Scherz, Spott, Gelächter und Schlüpfrigkeiten.
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