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Erasmus von Rotterdam
Lob der Torheit (6)
Ja, ich möchte sogar behaupten, daß keine
vortreffliche Tat ohne meinen Antrieb und keine hervorragenden Erfindungen
ohne meine Urheberschaft gemacht wären. Ist denn nicht der Krieg
das Saatfeld und die | Quelle jeder rühmenswerten Tat? Was gibt es
aber Törichteres, als aus weiß Gott welchen Gründen eine
Auseinandersetzung anzuheben, die jedem Beteiligten mehr Schaden als Nutzen
bringt? Denn die Gefallenen erwähnt keiner, wie Theokrit von den
Megarern sagt. Wozu, ich bitte euch, sind denn jene Weisheitsgewaltigen
nütze, wenn die Parteien sich erzgeschient zum Kampfe stellen und
der dumpfe Gesang der Hörner er- klingt? Sind sie doch von Studien
ausgemergelt und so dünn- und kaltblütig, daß sie nur
mit Mühe schnaufen. Kräftige und grobschlächtige Kerle
hat man dazu nötig, die tollkühn und geistig unbeschwert sind.
Es sei dehn, daß jemand die soldatische Tüchtigkeit des Demosthenes
sich zum Vorbild nähme, der dem Rate des Archilochos folgte, beim
Anblick der Feinde seinen Schild wegwarf und floh, ebenso feig als Krieger
wie weise als Redner. Nun sagt man aber, daß Einsicht im Kriege
sehr viel Bedeutung habe. Soweit es sich um den Feldherrn handelt, gebe
ich das zu, doch geht es dabei nur um militärische, nicht um philosophische
Einsicht. Im übrigen wird ein derart ruhmvolles Unternehmen nur von
Schmarotzern, Kupplern, Wegelagerern, Meuchelmördern, Bauernlümmeln,
Tölpeln, Bankrotteuren und ähnlichem Unrat der menschlichen
Gesellschaft durchgeführt, aber nicht von laternentragenden Philosophen.
Wie wenig die letzteren für irgendwelche Aufgaben des täglichen
Lebens brauchbar sind, beweist Sokrates, der ja an Weisheit ein ganzes
apollinisches Orakel in seiner Person verkörperte, aber für
äußerst ungeschickt galt. Als er einmal ein öffentliches
Amt versehen wollte, mußte er unter dem Hohngelächter aller
zurücktreten. Trotzdem war der Mann keineswegs ganz ohne Witz, da
er auf den Titel eines Weisen verzichtete, dem Gott selbst widersprach
und meinte, daß der Weise sich von den Staatsgeschäften fernhalten
müsse. Nur hätte er vielleicht besser jeden vor der Weisheit
warnen sollen, der als Mensch gewertet sein möchte. Was hat ihn schließlich
anderes auf die Anklagebank und zum Schierlingsbecher geführt als
die Weisheit? Während er den nebulosen Ideen nachsann, während
er die Füße des Flohes nachmaß und die Stimme einer Mücke
seine Bewunderung erregte, blieb er im Alltag ungeschickt. Dem Lehrer
steht in seinem Prozeß auf Leben und Tod sein Schüler Platon
zur Seite, welch trefflicher Verteidiger, eingeschüchtert durch den
Lärm der Masse, kaum einen halben Satz herausbrachte. Was soll ich
von Theophrast reden, der beim Auftreten in der Öffentlichkeit gleich
verstummte, als ob er unversehens einem Wolf gegenüberstände,
der doch einen Soldaten im Kriege aufgemuntert hätte. Isokrates wagte
vor Schüchternheit niemals den Mund aufzutun, und Cicero, der Ahnherr
der römischen Beredsamkeit, begann ganz wie ein schluchzender Knabe
immer mit kläglichem Lampenfieber. Quintilian legt das als Merkmal
eines beherzten Redners aus, der die Gefahr erkennt. Gibt er mit dieser
Erklärung aber nicht offen zu, daß die Weisheit einem erfolgreichen
Unternehmen hinderlich ist? Was sollen denn solche Leute im Kriege machen,
die schon vor Furcht zittern, wenn es sich um ein bloßes Wortgefecht
handelt?
Da soll man nun die vielberufene Ansicht Platons rühmen, daß
Staaten glücklich wären, wenn Philosophen regieren und Feldherren
philosophieren! Wenn du die Geschichtsschreiber befragst, wirst du keine
übleren Staatsführer antreffen als Afterphilosophen und Literaten
in Regierungsstellen. Die beiden Cato beweisen das augenfällig genug:
der eine gefährdete die bürgerliche Ruhe durch verrückte
Denunziationen, der andere vernichtete die Freiheit des römischen
Volkes vollends, als er sich mit anmaßlicher Weisheit zu ihrem Schutzherrn
aufwarf. Dazu magst du getrost die Brutus, Cassius, Gracchen und selbst
Cicero zählen, der dem römischen Staat nicht weniger Unheil
bescherte als Demosthenes dem athenischen Staat. Unterstellen wir einmal,
daß Marc Aurel ein guter Feldherr gewesen sei; selbst das könnte
ich widerlegen; den Bürgern war er nämlich deshalb peinlich
und verhaßt, weil sie in ihm den Philosophen sahen. Geben wir immerhin
zu, daß er gut gewesen ist, dann stürzte er den römischen
Staat mit seinem Sohn und Nachfolger Commodus doch in ein Verhängnis,
das die Vorzüge seiner eigenen Regierung überschattete. Denn
Menschen dieser Art, die sich dem Studium der Weisheit verschrieben haben,
pflegen in anderen Dingen, vor allem bei ihrem Nachwuchs, sehr wenig Glück
zu haben. Ich glaube, die Natur hat hier gesorgt, daß das Übel
der Weisheit unter den Menschen nicht weiter um sich greift. So hatte
bekanntlich Cicero einen Sohn, der aus der Art schlug, und der weise Sokrates
hatte Kinder, die mehr der Mutter glichen als dem Vater, das heißt
dumme Kinder, wie irgendwer treffend geschrieben hat. Beides wäre
noch zu ertragen, wenn sie nämlich nur zu öffentlichen Ämtern
so untauglich wären wie der Esel zur Lyra und eben nicht auch zu
jeder Verrichtung des täglichen Lebens.
Man hole sich einen weisen Mann zu einem Gelage: Entweder ist er in brütendes
Schweigen versunken, oder er stört mit aufdringlichem Problematisieren.
Bittet man ihn zum Tanz, möchte man glauben, ein Kamel schwinge das
Tanzbein. Bei öffentlichen Vorführungen bringt er das Volk durch
seine Miene um das Vergnügen, und man zwingt den weisen Cato, das
Theater zu verlassen, wenn er seine finstere Miene nicht ablegen kann.
Kommt er zu einem Gespräch hinzu, stockt die Unterhaltung gleich.
Gilt es einen Kauf zu tun, einen Vertrag zu schließen, kurz, irgendeine
unvermeidliche Angelegenheit des täglichen Lebens zu erledigen, vermeinst
du in dem Weisen einen Stock zu sehen, aber keinen Menschen. Weder sich
selbst noch seinem Vaterlande noch seinen Verwandten bringt er jemals
den geringsten Nutzen, weil er keine Lebenserfahrung hat, weil er von
der öffentlichen Meinung und von den bürgerlichen Gewohnheiten
völlig absticht. Natürlich muß solche Ungewöhnlichkeit
der Lebensführung und der Geistesart Haß erzeugen. Gibt es
denn unter Menschen überhaupt eine Erscheinung, die nicht voll Torheit
steckte, bei der Ausführende und Betroffene nicht töricht wären?
Wenn einer sich dem gemeinen Wesen widersetzen wollte, würde ich
ihm den Rat geben, es wie der Athener Timon zu machen, sich in eine Einöde
zu verkriechen und dort allein seine Weisheit zu genießen.
Doch kehren wir zur Sache zurück! Welche andere Macht als Scharlatanerie
kann die klobigen und hölzernen Wilden in eine staatliche Gemeinschaft
fügen? Das ist es ja, was die Zither des Amphion und Orpheus meint.
Was hat denn das römische Volk hart am Abgrund zu bürgerlicher
Eintracht zurückgerufen? Etwa die Rede eines Philosophen? Keineswegs!
Eine lächerliche Kinderfabel vom Bauch und den übrigen Gliedern
des menschlichen Körpers! Dasselbe vermochte eine ähnliche Fabel
des Themistokles vom Fuchs und dem Igel. Welche Rede eines Weisen hätte
so viel erreicht wie die trügerische Hindin des Sertorius oder das
bekannte Schaustück des Lykurg mit den zwei Hunden oder die Vorführung
des eben genannten Sertorius mit den beiden Stuten, denen die Schwanzhaare
ausgezogen werden sollten? Von Minos und Numa, die beide den dummen Haufen
mit gelungenen Fabeln in ihrer Gewalt hielten, will ich gar nicht reden.
Mit solchem Schwindel kirrt man die großmächtige Bestie Volk.
Welcher Staat hat denn jemals die Gesetze Platons oder des Aristoteles
oder die Grundsätze des Sokrates sich zu eigen gemacht? Was hat denn
die Decier dahin gebracht, sich freiwillig den Göttern der Unterwelt
zu weihen? Was anders als der nichtige Ruhm hat den Quintus Curtius wie
eine unwiderstehlich lockende Sirene in den Abgrund gestürzt? Um
so verwunderlicher ist es, wie jene hochweisen Männer das verurteilen.
Was gibt es schon Törichteres, so sagen sie, als einen Amtsbewerber,
der vor dem Volke herumdienert, als das scheffelweise Einheimsen der Gunst,
die Jagd nach dem Beifall des dummen Haufens, selbstgefällige Freude
an öffentlicher Anerkennung, sich wie eine Trophäe unter den
Augen des Volkes im Triumph herumfahren zu lassen und ein erzenes Standbild
auf dem Markt zu erhalten? Die Annahme von Ehrennamen und Titeln gehört
auch dazu, ebenfalls die göttlichen Ehren für ein kümmerliches
Menschlein und die feierliche Apotheose auch der verworfensten Tyrannen.
Das alles verkörpert freilich ein Höchstmaß an Torheit,
und ein Demokrit würde nicht ausreichen, um das zu verspotten. Wer
wollte es abstreiten? Doch gedeihen auf solcher Weide die Taten der tapferen
Helden, die in den Schriften so vieler gelehrter Männer in den Himmel
gehoben werden. Solche Torheit gründet Staaten, in ihr sind die Reiche
verankert, die Regierung, die Religion, die Ratsbeschlüsse, die Gerichtsentscheide,
und das gesamte menschliche Leben ist nichts anderes als ein Spiel der
Torheit.
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