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Originallink: http://www.pinselpark.org/philosophie/e/erasmus/torheit/torheit_01.html


 

Erasmus von Rotterdam

Lob der Torheit (11)

Ich bin mir noch im Zweifel, ob auch die Würfelspieler in unsere Gesellschaft gehören. Jedenfalls ist es ein törichtes und lächerliches Schauspiel, wenn man manche derart darein vernarrt sieht, daß ihnen schon beim Klappern der Würfel das Herz höher schlägt und hüpft. Wenn sie dann, verlockt durch die unerschütterliche Hoffnung auf Gewinn, ihr ganzes Vermögen eingebüßt haben und ihr Lebensschiff an der Klippe des Würfels gestrandet ist, sie selbst aber viel grausiger als das Malische Vorgebirge kaum nackt aufgetaucht sind, übervorteilen sie jeden ändern lieber als den Sieger, um nicht etwa als ehrlose Männer angesehen zu werden. Was soll man sagen, wenn sie noch fast erblindet und mit Augengläsern bewaffnet ihr Spielchen machen? Wenn ein rechtes Zipperlein schon in den Gliedern sitzt, dingen sie sich noch einen Vertreter, der für sie die Würfel in den Turm wirft. Es ist eine vergnügliche Sache, nur artet das Spiel manchmal in Wut, ja in Raserei aus und verleugnet die Verwandtschaft mit mir.
Unseres Zeichens sind zweifellos ganz und gar die Liebhaber lügenhafter Wunder und Weissagungen, ob sie nun bereitwillige Zuhörer oder Verbreiter sind. Sie sind unersättlich, wenn irgendwo Schauergeschichten von Erscheinungen, Totengeistern, Gespenstern, Abgeschiedenen und tausenderlei Wundern dieser Art berichtet werden. Je unwahrscheinlicher sie sind, um so bereitwilliger werden sie geglaubt und um so angenehmer juckt und kitzelt es in den Ohren. Das alles eignet sich nicht nur zum Zeitvertreib, sondern dient sogar dem Erwerb, besonders bei Geistlichen und Predigern. Ihnen verwandt sind jene, die sich mit Freuden einer törichten Einbildung überlassen und etwa überzeugt sind, sie könnten an einem Tag, an dem sie einen Blick auf eine Holzstatue oder ein Bild des Polyphem Christophorus geworfen haben, nicht sterben, oder sie würden heil aus der Schlacht heimkehren, wenn sie die Statue der Barbara mit einer Gebetsformel bedacht hätten, oder es würde einer schnell reich, wenn er sich an bestimmten Tagen mit den üblichen Wachslichtern und Anrufungen an den Erasmus wende. Aus Georg haben sie sogar einen Herakles gemacht und haben sich einen neuen Hippolytos geschaffen. Sein Pferd haben sie verehrungsvoll mit Brustschmuck und Knöpfen geziert und beten es nicht nur an, sondern suchen ihn noch mit einer neuartigen Ehrung zu gewinnen: Bei seinem erzenen Helm zu schwören, gilt als ausgesucht vornehm.
Was soll ich noch von jenen sagen, die sich bei trügerischem Ablaß in Sicherheit wiegen und die Fegfeuerstrafen gleichsam mit der Wasseruhr mathematisch genau und untrüglich nach Jahrhunderten, Jahren, Monaten, Tagen und Stunden abmessen? Oder was soll man von den Liebhabern magischer Sprüche und Gebetchen sagen, die irgendein frommer Betrüger aus Neigung oder Gewinnsucht ersonnen hat und von denen sie sich Reichtum, Ehre, Vergnügen, Überfluß, bleibende Gesundheit, langes Leben, blühendes Alter und einen Vorzugsplatz bei Christus droben versprechen? Allerdings möchten sie diesen erst möglichst spät erlangen, das heißt, nachdem die Vergnügungen dieses Lebens gegen ihren Willen und trotz ihres heftigen Widerstrebens von ihnen gewichen sind, sollen die Köstlichkeiten des Himmels ihr Anteil sein. Jeder Taugenichts, Kriegsmann oder Richter opfert aus dem Ertrag seiner zahllosen Räubereien einen Grosdien, glaubt damit den Sumpf seines Lebens gereinigt und hält alle die Völlerei, Zanksucht, Metzelei, Betrügerei, Treulosigkeit und Verräterei wie bei einem Handel für vergeben, und zwar so vergeben, daß er gleich von neuem in den Kreis der Untaten einbiegen kann. Gibt es größere Torheit, ja größere Seligkeit als bei Menschen, die täglich die Versehen aus den sieben Psalmen herunterleiern und davon grenzenloses Glück erhoffen? Diese zauberkräftigen Versdien soll ein beredter, aber mehr geschwätziger als schlauer Dämon dem heiligen Bernhard eingegeben haben, der aber listig getäuscht wurde. Sie sind derart töricht, daß ich mich ihrer selbst fast schäme. Trotzdem sind sie beliebt, nicht nur beim großen Haufen, sondern sogar bei Religionslehrern.
Dahin gehört doch auch, daß jede Landschaft ihren besonderen Heiligen beansprucht und die Heiligen für besondere Fälle ihre besonderen Wirkungen haben: dieser hilft gegen den Zahnschmerz, jener macht den Geburtshelfer, wieder ein anderer schützt gegen Schiffbruch oder bewacht die Herde. Ähnlich ist es bei den übrigen; denn es würde zu weit führen, alles aufzuzählen. Manche helfen in vielerlei Lagen, besonders die Jungfrau und Gottesgebärerin, von der die Menschen im allgemeinen fast mehr halten als von dem Sohn. Was anders sucht man aber bei diesen Heiligen als törichtes Zeug? Habt ihr jemals beim Anblick der zahllosen Weihegeschenke, von denen ihr manche Kirche so voll seht wie die Bundeslade selbst, jemand gesehen, der nicht außer Fassung geriet, der auch nur um ein Gran weiser wurde? Da erfährt man, daß der eine vom Tode des Ertrinkens gerettet wurde, während ein anderer vom Feinde niedergeschlagen wurde und doch mit dem Leben davonkam. Einer rettete sich nicht weniger glücklich als tapfer aus dem Kampfe, während die anderen in Bedrängnis gerieten. Mit Hilfe eines Heiligen, der den Dieben gewogen ist, fällt einer vom Galgen herunter, um gleich andere, die auch mit unrechtem Gut beladen sind, zu entlasten, während ein anderer sein Gefängnis sprengt und sich aus dem Staube macht. Ein Fieberkranker wird zum Leidwesen seines Arztes gesund, und bei einem Ehemann bleibt der Gifttrank ohne Wirkung, zum Ärger seiner Frau, die Mühe und Aufwand vertan hat. Ein Fuhrmann kippt mit seinem Fahrzeug um und bringt die Pferde doch heil davon, ein Haus stürzt zusammen und läßt den Bewohner ungeschoren. Ein Ehebrecher wird vom Ehemann erwischt und entkommt doch. Für die Beseitigung der Torheit weiß keiner Dank. Unverstand ist so beliebt, daß die Menschen lieber alles verwünschen als die Torheit.
Doch wozu wage ich mich in dieses Meer von Aberglauben? Wenn ich tausend Zungen und tausend Münder hätte, eine erzene Stimme, könnte ich doch alle Erscheinungen von Blödheit nicht anführen oder alle Namen, unter denen Torheit auftritt, aufzählen. So wimmelt das ganze Leben der Christenheit auf Schritt und Tritt von solchem Aberwitz. Die Priester selbst gestatten und fördern das bedenkenlos. Wissen sie doch allzu gut, wie sehr ihnen hier der Weizen blüht. Es mag sein, daß einmal ein mißliebiger Weiser auftritt und zur Vernunft rät: Du entgehst dem schlimmen Verderben, wenn du gut lebst; die Sünden kaufst du los, wenn du dem Grosdien den Haß der Bösen, Tränen, Nachtwachen, Gebete und Fasten hinzufügst und deine ganze Lebensweise änderst, der Heilige dort wird dir beistehen, wenn du sein Leben dir zum Vorbild nimmst. Sieh doch, welches Glück der weise Mann mit solchem Geschwätz den Menschen nimmt und in welche Wirrsal er sie verstrickt!
Zu der Gesellschaft der Verrückten gehören auch alle, die schon bei Lebzeiten ihren Begräbnisprunk so peinlich genau anordnen, daß sie die Zahl der Fackeln, Trauergäste, Sänger und Klageweiber vorschreiben, als ob sie noch im Tode das Schauspiel verspürten und sich schämen könnten, wenn ihr Leichnam nicht prunkvoll bestattet würde. Sie wenden dabei einen Eifer auf, als wären sie zu Ädilen gewählt und müßten Spiele und Gelage veranstalten. Bei aller notwendigen Eile kann ich doch nicht die seltsamen Käuze übergehen, die sich maßlos mit leeren Adelsprädikaten schmeicheln, obwohl sie sich kaum von einem einfachen Handwerksmann unterscheiden. Einer führt seine Familie auf Aeneas, ein anderer auf Brutus und ein dritter auf König Artus zurück. Bei jeder Gelegenheit führen sie die Büsten und Bilder ihrer Ahnen vor. Sie zählen ihre Vorfahren und Urväter auf und erwähnen alte Ehrennamen, während sie selbst an Stumpfsinn kaum einem Standbild nachstehen, ja fast minderwertiger sind als die Bilder, mit denen sie protzen. Es fehlt auch nicht an gleich Dummen, die diese Wundertiere wie Gottheiten anstaunen.
Doch was rede ich hier von der einen oder anderen Erscheinung. Als ob die Eigenliebe nicht überall verbreitet wäre und auf die absonderlichste Weise die meisten mit Glücksgefühl erfüllte! Wenn einer auch häßlicher ist als ein Affe, kommt er sich doch gleich wie ein Nireus vor, und wenn einer kaum drei Bogen mit dem Zirkel ziehen kann, hält er sich schon für einen Euklid. Wenn der sprichwörtliche „Esel mit der Lyra" schauerlichere Töne hervorbringt als der Hahn, der aufs Huhn steigt, sieht er trotzdem in sich einen zweiten Hermogenes. Eine possierliche Art von Verrücktheit beobachtet man auch bei manchen, die sich auf irgendwelche Vorzüge von Familienangehörigen etwas zugute tun, als ob es ihre eigenen wären. So war es ja bei dem reichen Protz des Seneca, der bei der Wiedergabe einer Geschichte immer einen Haufen Diener zur Hand hatte, die ihm die Namen zuflüstern mußten. Er machte sich nichts daraus, sogar zum Faustkampf herauszufordern, wobei das kümmerliche Männlein auf seine handfesten Diener vertraute.





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